Eine glückliche Ehe
fragend ansah. »Vater muß sehr beliebt gewesen sein. Am erschütterndsten war der Pfarrer, der das Hinscheiden eines fleißigen Spenders beklagte.«
Er blieb im Krankenhaus, bis die Nachtschwester ihren Dienst antrat. Frau Viernisch erschien auch noch, holte ihre zwei Pfund Bohnenkaffee ab und berichtete erfreut, daß Irmi Milch genug habe, ja, man könne sogar ein paar Gramm für andere Neugeborene abzapfen.
»Du siehst müde aus, Liebling«, sagte Irmi und streichelte Wegeners Haar. »Geh jetzt nach Haus und schlafe dich ordentlich aus. Du hast ganz tiefe Ränder unter den Augen.«
Er nickte, küßte sie, schlich mit der Hebamme zur Säuglingsstation und betrachtete noch einmal seinen Sohn. Satt und zufrieden schlief er, ein winziger, aber vollkommener Mensch.
»Es bleibt immer ein Wunder«, sagte er leise zu Frau Viernisch, »daß man so etwas in sich trägt.«
»Ganze lächerliche sechsundvierzig Chromosomen«, sagte sie und deckte den losgestrampelten Peter zu.
Wegener sah sie stumm an, brach das geflüsterte Gespräch ab und nahm sich vor, über Chromosomen nachzulesen, um mitreden zu können.
Ich werde mich als Gasthörer auf der Uni herumdrücken. Jede freie Minute. Das ist wichtig! Man muß Wissen sammeln, und wenn es auch nur Bruchstücke sind.
Er verließ auf Zehenspitzen die für Besucher gesperrte Säuglingsstation (er, als Arzt, war eine Ausnahme, wie Frau Viernisch betonte) und fuhr nach Hause. Es durfte keine Pannen mehr geben …
Nach zehn Tagen wurde Irmi entlassen.
Ihre Rückkehr in die Wohnung war ein Triumphzug. Alle Zimmer erstickten fast unter Blumen, ein Berg von Glückwunschpost wartete auf sie, Wegener rief so etwas wie einen ›Tag der offenen Tür‹ aus, an dem alle Nachbarn und Freunde Irmi und den kleinen Peter bestaunen konnten, es gab Cocktails zu trinken, belegte Brötchen verschwanden schnell von den Platten, Lobreden vergoldeten Irmi und das Kind. Dann war auch das durchgestanden, und der Alltag kam ins Haus. Dr. Schwangler brachte ihn mit, in Form einer Frage:
»Wie ist das nun? Die Apotheke muß weitergehen. Sie haben keine Fachausbildung, mein Lieber, sind ein abgebrochener Mediziner und waren bei Ihrem Schwiegervater ein besserer Verkäufer. Laut Apothekengesetz muß aber ein examinierter Apotheker den Laden führen, denn Medikamente unterscheiden sich von Heringen gewaltig, obgleich man auch durch einen faulen Hering auf der Schnauze liegen kann. Ich habe schon mit der Apothekerkammer gesprochen. Man will Ihnen vorschlagen, einen Provisor einzustellen. So ein junger Mann ist approbiert und billig, Sie bleiben der Chef, und wenn Ihre Pläne mit dem richtigen Schwung unters Volk kommen, können Sie bald auf goldenen Lokussen scheißen …« Dr. Schwangler räusperte sich und grinste jungenhaft, was er immer tat, wenn er eine Ferkelei von sich gab. »Stimmt es, daß Sie in Ihrer neuen pharmazeutischen Fabrik Aufbaumittel herstellen wollen?«
»Ja. Vitaminpillen, Nervennahrung, Zellstoffwechselfermente, allgemeine Regenerationsmittel …«
»Mit anderen Worten: Ständerfabrikate!« lachte Dr. Schwangler.
»Das ist Ihre Version, Doktor! Ich will den durch Krieg und Nachkriegszeit geschädigten Menschen helfen, ihren Organismus zu stärken.«
»Und ihren Orgasmus auch!« Dr. Schwangler klatschte begeistert in die Hände. »Mein lieber Wegener, Sie haben es erkannt. Sie sind auf dem Weg, Millionär zu werden! Der Verkauf von Potenz ist das glänzendste Geschäft, vor allem weil der Glaube der Käufer mitspielt. Wir sollten das durchsprechen. Ich schlage Ihnen vor, daß ich als Kompagnon bei Ihnen mitmache. Na?! In drei Jahren schluckt ganz Europa Lohmanns Pimperpillen! Ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein: Ich hatte Sie verkannt. Ich hielt Sie für einen trockenen Stock. Aber Sie sind ein Genie in der Stille! Der seriöse Beglücker stillgelegter Betten! Mann – das ist ein Geschäft!«
Schon am 1. November trat ein Provisor in die Lohmannsche Apotheke ein. Er hieß René Seifenhaar und hatte sich daran gewöhnt. Man kann sich Vaternamen nicht aussuchen. Provisor Seifenhaar war ein schöner Mann, ein Typus, den man sonst nur in Illustrierten oder im Film sieht, groß, schlank, mit gelocktem schwarzen Haar wie ein Südländer, mit elegantem Auftreten, einer sanften Stimme und braunen Rehaugen. Mädchen, jüngere und ältere Ehefrauen machten sich nun gleichsam in Scharen auf zur Apotheke; für alle hatte René Seifenhaar einen milden Blick, mehr aber auch
Weitere Kostenlose Bücher