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Eine glückliche Ehe

Eine glückliche Ehe

Titel: Eine glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wissen, ob Irmi auf ihrer Ablehnung bestand.
    Doch sie hob nur die Schultern. »Wenn es dir Freude macht …«
    Und plötzlich wurde ihm bewußt, daß es nun kein Zurück mehr für ihn gab. Ich bin ein Idiot! beschimpfte er sich. Ich hätte doch nur zu sagen brauchen: Nein, natürlich muß ich da nicht hingehen, was kümmert mich die Penne!? – Dann wäre das Problem schon gelöst gewesen.
    Nun wird es eine Katastrophe geben. Meine Mitschüler, meine Mitabiturienten! Ich werde dastehen wie ein Blinder, dem man einen Sonnenuntergang zeigt. Ich kenne doch niemanden von ihnen. Das Bein muß wieder her, diesesmal das rechte, das verwundete. Mein Gott, Hannover wird eine Katastrophe werden!
    »Hellmuth«, sagte Irmi sanft. »Soll ich mitfahren?«
    Klang das nicht schon wieder, als sei sie besorgt? Er sah sie von der Seite an, aber sie hatte sich halb abgewandt und drehte das Kuvert in ihren Händen. Er schluckte und nickte kurz. Es gab wirklich kein Zurück mehr.
    Er antwortete, das sei nicht nötig, es sei ein reines Männertreffen, natürlich führe er hin, aber die Wunde im rechten Oberschenkel, die jucke wieder so verdächtig, und außerdem habe man noch zehn Tage Zeit, sich die Sache zu überlegen.
    In diesen zehn Tagen beschaffte sich Wegener die Namen ›seiner‹ damaligen Mit-Abiturienten. Das war nicht schwierig, ein Auskunftsbüro besorgte ihm die Liste des Jahrgangs. Aber was nutzten Namen? Wie hatten die Jungen ausgesehen? Was hat man gemeinsam erlebt? Besaß Hellmuth Wegener einen Spitznamen? Hatten andere Mitschüler einen? Wie hatte man die Lehrer genannt?
    Beladen mit Unsicherheit und unterdrückter Angst, fuhr Hellmuth Wegener nach Hannover zum Klassentreffen. Man muß das durchstehen, dachte er. Es ist wie eine Generalprobe: Gelingt sie einigermaßen, wird eine Sicherheit über mich kommen, aus der mich niemand mehr vertreiben kann! Vielleicht ist dann die Persönlichkeit des Hellmuth Wegener perfekt. Vielleicht …
    Als er in Hannover eintraf, hatte er schweißnasse Hände und ein von außen her nicht sichtbares Zucken im Hals.

6
    Hannover sah noch ziemlich wüst aus, eine aufgeräumte Trümmerstadt, aber immerhin schon wieder eine saubere Stadt, trotz all der Ruinen, an die Wegener ja von Köln her gewöhnt war und die man schon gar nicht mehr bewußt wahrnahm, weil sie zum Alltagsbild Deutschlands gehörten. Diese Stadt bewies, daß auch ein total verlorener Krieg einen wohl auf die Knie zwingen kann, aber nicht im Trümmerstaub ersticken lassen muß.
    Die Bereinigung ehemaliger Abiturienten und Schüler des Goethe-Gymnasiums Hannover hatte ein kleines renoviertes Hotel gemietet und tagte in einem Hinterzimmer, stolz ›Sälchen‹ genannt. Wegener schien einer der ersten Gäste zu sein. Der Hotelier begrüßte ihn fast überschwenglich, er erhielt ein Doppelzimmer mit fließendem Wasser und einer Duschecke, in der die Brausentasse frei auf dem Boden stand (ein Luxus besonderer Art) – und hätte doch viel lieber ein Einzelzimmer gehabt. Weiß man, mit wem man zusammen schlafen würde, was dann alles erzählt wurde, was man dann wissen mußte und doch nicht wußte?
    »Einzelzimmer haben wir nicht«, sagte der Hotelier. »Noch nicht wieder. Erst, wenn das Hinterhaus fertig hochgezogen ist. Im Moment sind Doppelzimmer auch das bessere Geschäft.« Er lächelte verschmitzt.
    Wegener packte seinen Koffer aus, zog sich um, betrachtete sich im Spiegel, holte das alte Foto von Hellmuth Wegener aus der Brieftasche und verglich sich damit. Das typische Militärfoto: Wegener als Fähnrich mit EK II, EK I, Gefrierfleischorden, Nahkampfspange. Kurz geschnittenes Haar, ein wenig Heldenpose. Ein Foto, das nichts verraten konnte. Rußland und Gefangenschaft graben Rinnen in ein Menschengesicht. Und eine Ähnlichkeit war immerhin vorhanden.
    Wegener steckte das Foto wieder in das hintere Fach seiner Brieftasche, kämmte die braunen Haare, die jetzt viel länger waren als 1944, etwas lockerer und sah auf seine Armbanduhr. Noch drei Stunden bis zum Treffen.
    Er setzte sich in den einzigen Sessel, ein wackeliges Ding mit Plüschbezug, holte aus dem Koffer ein Kompendium über Innere Medizin und Allgemein-Chirurgie, einen dicken Wälzer, betitelt ›Taschenbuch der Medizinisch-Klinischen Diagnostik‹, und begann, wie in den vergangenen Monaten, Seite um Seite und Wort um Wort zu lesen. Die Begriffe, die er nicht verstand, schlug er im Klinischen Wörterbuch nach, las oft ganze Passagen laut vor und hörte sich dabei

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