Eine glückliche Ehe
selbst zu. Ein alter Trick, eine Erinnerung an seine Berufsschulzeit als Schlosserlehrling. Man behält am besten, wenn man alles visuell und tonlich aufbaut. So lernen auch, hatte er sich sagen lassen, die Schauspieler und Sänger. Laut vorlesen, laut vorsingen, bis einem der ganze Text wie festgewurzelt im Gedächtnis bleibt. Sie war wirklich gut, die Methode – er hatte auf diese Weise schon viel in sich aufgenommen und sich bei Gesprächen immer durchschlängeln können.
Es klopfte. Der Hotelier kam ins Zimmer, hinter ihm tauchte ein zweiter Mann auf, der Mitbewohner des Doppelzimmers, der Bettnachbar gewissermaßen. Wegener klappte die Bücher zu und erhob sich.
Erwartungsvoll sahen sich die beiden Herren an. Der Hotelier stellte den Koffer neben die Tür und verschwand sofort wieder.
Der Mann räusperte sich, auch ihm war diese erste Minute peinlich. Wenn man das erlösende Wort gesprochen hatte, ging alles besser.
»Zyschka«, sagte der Mann endlich, als Wegener stumm blieb. »Walter Zyschka.«
»Hellmuth Wegener.«
»Mensch! Du bist Hellmuth?« Zyschka klatschte in die Hände, stürzte auf Wegener zu, umarmte ihn und küßte ihn auf die Backe. »Mensch, Hellmuth, was haben wir uns verändert! Dieser Scheißkrieg! Du hättest mich nicht wiedererkannt, was?«
»Nein –«, sagte Wegener ehrlich. »Aber jetzt, wo du's sagst: Ja! Der Walter! Hast du früher nicht eine Brille getragen?«
»Nee, das war der Brylla. Was hat der zu hören bekommen! Da kommt der Brylla mit der Brilla! Armer Kerl. Ist 1942 bei Minsk gefallen.«
»Stimmt!« Wegener klopfte Zyschka auf die Schulter und registrierte alles. Brylla mit der Brilla … das konnte man später gut anbringen. »Und wie geht's dir?«
»Ich bin Assessor der Jurisprudenz. Im Moment beim Grundbuch tätig. Scheißlangweilig! Will sehen, daß ich in die Staatsanwaltschaft hineinkomme. Und du, Hellmuth? Kurz vor dem medizinischen Staatsexamen?«
»Nein. Ich habe nicht weitergemacht, Walter.«
»Du bist verrückt! Du warst doch die Intelligenzbestie der Klasse! Dir flog alles zu, während wir anderen bimsen mußten. Du gingst am Nachmittag mit den Mädchen im Park spazieren, und wir paukten noch Vokabeln! Du konntest auf dem Schloßweiher Kahn fahren, und wir quälten uns mit chemischen Formeln herum. Und gerade du hast die Flinte ins Korn geworfen?! Mensch, Hellmuth!«
»Nach der Gefangenschaft kotzte mich alles an, Walter. Außerdem bin ich verheiratet, habe ein Kind, einen Sohn Peter.«
»Stimmt!« Zyschka erinnerte sich und lachte. »Ich habe mal gehört, du hättest dich ferntrauen lassen. Das kriegt nur der Wegener fertig, dachte ich damals. Und hat sogar Glück dabei!«
»Habe ich auch. Irmgard ist eine wundervolle Frau. Ich bin restlos glücklich.«
»Und wovon kauft ihr euch die Wurst aufs Brot?«
»Irmi hat eine Apotheke geerbt, die beste in Köln. Und zur Zeit baue ich eine pharmazeutische Fabrik …«
»Wie konnte ich auch so dämlich fragen! Hellmuth Wegener ohne Glück. Das gibt es nicht. Wie gesagt: dir fiel immer alles in den Schoß, als hättest du zwischen den Beinen einen Magneten!« Zyschka lachte grob … Juristen und Ärzte haben eine Vorliebe für deftige Witze und Wortspiele. »Wenn du einen Syndikus für deine Fabrik brauchst – denk an deinen Klassenkameraden Walter!«
»Selbstverständlich, alter Freund.«
Es wurde ein schönes Wiedersehen im ›Sälchen‹ mit Schnaps, Bier, Wein und zum Abschluß Champagner, den Eberhard von Hommer bezahlte, der Reichste damals in der Klasse und auch jetzt. Sein Vater besaß Stahlwerke, hatte die vierte Frau, sie war jünger als Sohn Eberhard, wodurch ein heimliches Dreiecksverhältnis entstand. »So etwas solltet ihr euch leisten!« grölte Eberhard von Hommer weinselig. »Wessen alter Herr Witwer ist, der sollte seinem Vater zu einer jungen Frau raten. Praktischer geht es nicht: Der Senior ernährt sie, der Junior bewegt sie! Ein trautes Familienleben mit dreifacher Glücksgarantie: Papa ist stolz auf seine junge Frau, die junge Frau ist stolz auf Schmuck, Pelze, Auto und Namen, der Junior entwickelt häusliche Ambitionen und ist der Mühe enthoben, mühsam neue Betten aufreißen zu müssen. So hat jeder seinen Anteil am individuellen Glück! Wenn das keine Idealkonstruktion ist!«
Für Hellmuth Wegener gab es an diesem Abend eigentlich nur zwei kritische Momente: Das war, als er die beiden alten Lehrer begrüßen mußte, und natürlich keinen kannte, und als sein Banknachbar
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