Eine glückliche Ehe
›geschlechtsvertrauliche Beziehungen‹ und gewann fast jeden Prozeß, weil die Ehefrauen vor soviel Frechheit kapitulierten. Sie hatten die Nerven nicht.
»Mein Mandant hat immer recht!« war Dr. Schwanglers Devise. Bei den Gerichten war er berüchtigt. Er hatte während eines Prozesses sogar einmal nachgewiesen, daß der Staatsanwalt mit einer Zeugin morgens aus einem Hotel gekommen war …
Schwanglers Instinkt trog nicht: Betrucci bat am Donnerstag nach Karneval um eine Unterredung mit Hellmuth Wegener. Aber an diesem Donnerstag traf aus Hannover ein Brief von einem Notar Dr. Siemsmeier ein. Wegener überlegte, als er das Kuvert aufschlitzte. Dr. Siemsmeier? Nein, ein Klassenkamerad war das nicht. Der einzige Jurist war Walter Zyschka, der große Schnarcher.
Wegener las den Brief zweimal, dann steckte er ihn in die Rocktasche, lief hinauf in die Wohnung und warf sich in einen der Sessel. Irmi sah ihn betroffen an. Hellmuth schien verstört zu sein. Sie legte den kleinen Peter, der auf ihrem Schoß gesessen hatte, zurück ins Kinderbettchen und setzte sich zu ihrem Mann.
»Was ist, Liebling?« fragte sie sanft. Sie wußte: Ihre zärtliche Stimme war für ihn wie Medizin. Wenn er Probleme hatte, sagte er entweder: »Sprich etwas, Irmi. Irgend etwas …« Oder er sagte: »Komm, fahren wir herum. Irgendwohin!« Dann mußte sich Irmi in den Opel setzen, Wegener hockte sich neben sie, stierte wortlos in die Gegend (die er gar nicht wahrnahm), und so fuhr sie ihn eine Stunde lang herum, meistens draußen am Stadtwald, bis er sagte: »Es ist gut, Irmi. Nach Hause!« Dann war das, was ihn bedrückte und worüber er nicht sprach, von ihr weggesprochen oder weggefahren worden.
»Ein Notar Dr. Siemsmeier hat geschrieben. Aus Hannover«, sagte Wegener und holte den Brief aus seinem Rock. Er faltete ihn auf und kratzte sich über den Nasenrücken.
»Wer ist Dr. Siemsmeier?« fragte Irmi und wartete.
»Ich – ich muß weiter ausholen.« Wegener starrte auf den Brief. Was er jetzt seiner Frau erklärte, hatte er gerade erst aus diesem Schreiben erfahren. »Bisher hatte ich immer geglaubt, alle meine Verwandten seien tot. Mir war vollkommen klar, daß ich der letzte Wegener aus Hannover bin. Der Krieg hat in unserer Familie gründlich aufgeräumt. Aber heute weiß ich es anders. Es gab einen Onkel in Hannover, einen Bruder meiner Mutter. Onkel Axel Hellebrecht. Meine Mutter war eine geborene Hellebrecht.«
»Das weiß ich.«
»Diesen Onkel Axel habe ich nie gekannt. Das heißt – ich muß ihn gekannt haben, als Kind! Um so mehr hat er sich um mich gekümmert, ohne daß ich es gemerkt habe.«
Wegener spürte, wie es unter seiner Hirnschale heiß wurde, wie leichter Schweiß aus den Poren drang. Es gibt keinen Menschen ohne Vergangenheit, dachte er. Irgendwann, irgendwie kommt sie zu ihm zurück, unverhofft, ein Gespenst aus dem Dunkel des Vergessenen. Hier ist es Onkel Axel Hellebrecht. Er ist gestorben, und sein Tod bringt sie jetzt ans Licht.
»Ich lese dir am besten vor, was Dr. Siemsmeier schreibt«, sagte er und gab seiner Stimme einen geschäftlichen Ton. »Paß mal auf:
›Lieber Herr Wegener,
ich muß Ihnen die bedauerliche Mitteilung machen, daß Ihr Onkel, Herr Axel Hellebrecht, wohnhaft Hannover-Herrenhausen, Schloßstraße 19, vor drei Tagen plötzlich verstorben ist. Ich darf Ihnen mein tiefempfundenes Mitgefühl aussprechen.
Seit über dreißig Jahren vertrete ich notariell die Interessen des jetzt Verstorbenen und habe, seinem Letzten Willen entsprechend, der in einer Präambel seines Testamentes vorlag, die Beerdigung in aller Stille vorgenommen und von einer allgemeinen Anzeige seines Todes abgesehen. Die Präambel verpflichtete mich aber auch, Ihnen nach diesen drei Tagen mitzuteilen, daß es der letzte Wunsch Ihres Onkels war, bei mir sein Testament zu eröffnen und es anzunehmen.
Ich bin vorweg beauftragt, Ihnen zu sagen, daß Sie Alleinerbe sind. Da es der Herzenswunsch Ihres Onkels war, daß Sie Medizin studierten, und dies auch getan haben, fällt Ihnen jetzt die Hinterlassenschaft zu. Sie besteht aus einer Villa samt Einrichtung und dreitausend Quadratmeter Park in Hannover-Herrenhausen, dem Bankkonto, dessen Höhe noch festgestellt wird, und dem Gesamtkomplex der Chemischen Werke Protosano.
Um den ganzen Komplex Ihres Erbes durchzusprechen und die rechtliche Seite zu würdigen, bitte ich Sie, mir mitzuteilen, wann Sie zur Testamentseröffnung nach Hannover in meine Kanzlei kommen können
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