Eine glückliche Ehe
uns ist immer alles anders! Sag mir mal, was soll ich hier? Die Skilehrer verhauen? Die sind stärker als ich.«
»Kümmere dich um Irmi.«
»Als Wegener-Ersatz?«
»So ähnlich, Edi.«
»Zu was ich alles tauge!« Dr. Schwangler seufzte resignierend. »Wie lange bleibst du noch?«
»Zehn Tage.«
»Prost Scheiße! Warum bin ich bloß dein Freund geworden …«
Aus den zehn Tagen wurden nur drei. Dr. Bernharts rief am Morgen des vierten Tages an, ziemlich aufgeregt und mit zitternder Stimme.
»Ich will Ihnen den Urlaub nicht verderben, Herr Wegener«, sagte er. »Aber ich halte es für meine Pflicht, es Ihnen zu sagen: Wir sind hier alle tief erschüttert. Gestern nacht hat Professor Goldstein versucht, sich das Leben zu nehmen!«
»Mein Gott«, sagte Wegener leise. Er starrte aus dem Fenster auf die von der kalten Morgensonne überstrahlten Dreitausender. Die Schneehänge glitzerten bläulich. Ein herrlicher Tag. »Warum? Warum denn nur?«
»Das weiß keiner. Man konnte ihn retten. Er gibt keine Auskunft. Ich dachte, es interessiert Sie. Sie kennen Professor Goldstein doch gut …«
»Ich danke Ihnen sehr, Doktor«, sagte Wegener tonlos. »Danke.«
Er legte auf, starrte aus dem Fenster und wartete, bis Irmi aus dem Badezimmer kam. Sie war nackt, das warme Wasser tropfte von ihrer glatten Haut.
»Wer war das?« fragte sie. »Am frühen Morgen?! Komm, trockne mich ab …« Sie kam zu ihm, drehte ihm den Rücken zu, er küßte den Ansatz ihrer Hüften, das Grübchen ihres Gesäßes und streichelte, nach vorn fassend, den lockigen Flaum zwischen ihren Schenkeln. Sie gehört mir, dachte er dabei. Nur mir, mir, mir! Ich bringe jeden um, der sie mir wegnimmt! Ohne diese Frau bin ich ein Haufen Dreck! Ich lebe nur durch sie.
»Du sollst mich abtrocknen, Schatz«, sagte sie und dehnte den Unterkörper seiner streichelnden Hand entgegen. »Nichts anderes!«
»Wir reisen noch heute ab«, sagte Wegener heiser. »Wir packen sofort!« Er nahm das Handtuch und trocknete sie ab. »Goldstein hat versucht, sich umzubringen …«
»Um Gottes willen, nein!« Sie fuhr herum und starrte ihn entsetzt an. »War das der Anruf?!«
»Ja. Dr. Bernharts. Ich muß zu Goldstein! Er hat unsere Kinder geholt, er hat dir zweimal das Leben gerettet … ich muß einfach hin.«
»Natürlich! Selbstverständlich! Aber warum? Warum hat er das getan?«
»Das weiß keiner.« Er sah Irmi zu, wie sie sich anzog. »Auf jeden Fall fahren wir sofort.«
Spät in der Nacht kamen sie in Köln an, nach einer Nonstop-Fahrt, bei der sich Wegener und Dr. Schwangler am Steuer abgelöst hatten. Schwangler war mit dem Zug gekommen.
Kaum im Haus, rief Wegener die Klinik an. Eine muffelige Nachtschwester sagte, hörbar böse: »Wir geben keine Auskunft!« Dann legte sie auf.
»Ganz natürlich!« meinte Dr. Schwangler, als Wegener die Schwester eine alte Zippe nannte. »Was glaubst du, wie sich die Presse auf den Fall gestürzt hat! Ausgerechnet Goldstein! Du wirst gar nicht an ihn herankommen.«
Wegener kam an ihn heran. Der Chefarzt der I. Medizinischen Klinik, auf deren Privatstation Goldstein unter einem Sauerstoffzelt lag, erlaubte, daß er Goldstein ein paar Minuten besuchte.
Der Professor war wach, als Wegener leise eintrat. Das weiße Haar lag wie ein Kranz um das blasse, schmale Gesicht. Die Augen blickten Wegener an, als wollten sie sagen: Auch du kannst nichts mehr tun.
Er will nicht mehr, durchfuhr es Wegener. Da liegt ein Mann, den das ganze Leben ankotzt. Und ausgerechnet Professor Goldstein! Wer soll das begreifen?
Nach zehn Minuten begriff es Hellmuth Wegener.
Goldstein sprach mit leiser Stimme, aber sehr artikuliert, wie immer. Auch in Todesnähe immer noch ein Aristokrat. »Sie sind kein Beichtvater«, sagte er. »Und auch Ihnen würde ich nichts sagen, wenn Sie nicht indirekt damit zu tun hätten.«
»Ich?« Wegener sah Professor Goldstein betroffen an. »Wieso?«
»Die Vergangenheit hat mich eingeholt. Was damals keinem gelungen ist, hat man jetzt geschafft. Ich habe schwache Nerven, Herr Wegener, das weiß nur keiner. Die Flucht vor den Nazis hat sie fadendünn gemacht und zerreißbar.« Goldstein blickte nach oben gegen das Sauerstoffzelt. »Das war vorige Woche. Eine Frau kommt auf meinen OP-Tisch. Den Namen kann ich Ihnen nicht nennen … Das ist es ja! Eine Frau, dreiundfünfzig Jahre alt. Eine totale Ovarektomie wegen eines epithelialen Tumors. Die Operation verlief ohne Komplikation. Und am dritten Tag danach sagt die
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