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Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
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hatte noch Glück, dass ich nicht hingefallen war, und wollte die Stoffstreifen wenigstens aufsammeln, um sie mir später wieder um die Füße zu wickeln, und bückte mich danach, als ich einen Gewehrkolben zwischen meinen Rippen spürte, dann einen Tritt und noch einen. Ich konnte gerade noch meine Arme schützend über dem Kopf verschränken. Die Tritte hörten nicht auf, bis ich plötzlich in den Graben hinabstürzte.
    Ich lag in dem dunklen, großen Loch. Wenigstens war ich dem Soldaten entkommen, dachte ich. Er stand oben am Rand, im Schein einer Fackel sah ich die große Gestalt über mir, das Gewehr auf mich gerichtet. Ich vergrub das Gesicht in meinem Arm und wartete. Als ich erneut aufschaute, war der Soldat fort. Ich setzte mich mühsam auf. Worauf war ich bloß gefallen? Es war keine Erde, waren keine Steine. Vorsichtig tastete ich in der Dunkelheit nach dem Boden unter mir. Ich spürte eiskalte Arme, Beine, Bäuche, Rücken, Köpfe, lauter kalte Haut, leblose Körper. Eine Grube voller toter Kinder! Ich würgte und rang nach Luft, dann zuckte ich zusammen, denn eine Hand legte sich auf meine Schulter. »Schsch«, machte jemand. Dann hörte ich Regina flüstern. »Kriech hinten zum Rand und bleib da liegen, los, die Soldaten erschießen dich sonst noch.« Ich tat, was sie gesagt hatte, und kroch über die Kinderleichen zum äußeren Rand, an der Seite, an der keine Soldaten standen. Regina und einige andere Kinder mussten das Grab erweitern; sie schaufelten Schnee und frostige Erde beiseite. Nach einer Ewigkeit durften sie wieder aus der Grube heraus. Ich ahnte, was nun passieren würde, und drückte mich gegen die Erdwand. Die Eiseskälte erstickte jeden Gedanken und jedes Gefühl im Keim. Eine Mädchenleiche nach der anderen, alle, die oben aufgereiht gelegen hatten, wurden in die finstere Grabstätte geworfen. Wie Säcke plumpsten Körper auf Körper, ein Arm, ein Bein streiften mich, rissen mich beinahe mit. Ich hatte Angst, dass die nächste Tote auf mich fiel und mich erschlug, und so suchte ich panisch nach einer Nische zwischen den toten Körpern am Rand.
    Meine Seele war wie betäubt, jegliches Gefühl darin war abgestorben. Ich lag zwischen den toten Kindern und hielt mich an ihnen fest. Nach einer Weile wurde Erde auf uns geschaufelt. Hört auf, ich bekomme doch keine Luft mehr, wenn ihr uns zuschüttet!, schrie ich stumm. Mit dem letzten Rest an Lebenskraft wischte ich mir die Erde aus dem Gesicht. Immer wieder fielen Schüsse. Dann hörte ich russische Befehle und das Bellen der Hunde; die Kinder wurden in ihre Baracken zurückgetrieben.
    Es begann zu schneien; ich sah im grauen Mondlicht die Flocken über mir. Wie eine sanfte Decke legte sich der Schnee über das große Grab, es war ganz still. Nur ich und die vielen toten Kinder waren hier unten. Ob ich nun zu Papa kam? Ich lag mit offenen Augen da und wollte auf den Tod warten; in einer Totengrube wartet man auf den Tod, dachte ich. Aber ich sah keinen Stern am Himmel, nur die vielen Schneeflocken. Papa kam nicht, um mich zu holen. Und hier würde er mich sicher niemals finden. Ich musste irgendwie aus diesem Erdloch raus. Aber wie? Das Denken fiel mir unendlich schwer. Ich hob vorsichtig den Kopf. War auf der anderen Seite der Grube die Erdwand nicht viel flacher gewesen als hier? Dort wollte ich versuchen hinauszuklettern. Nach und nach bewegte ich jedes einzelne Glied, bis mein rechter Fuß an der Reihe war. Aber er steckte zwischen zwei oder drei Leichen fest und ließ sich nicht herausziehen. Erst als ich mit beiden Händen fest an meinem Unterbein zerrte, gaben die Toten ihn frei. Auf allen Vieren kroch ich über die leblosen Kinderkörper zum Grubenrand und hinaus, und auf allen Vieren kroch ich auch zwischen den Baracken umher, ohne Orientierung, bis ich irgendwann unsere Baracke erkannte.
    Regina war die Erste, die zu mir gelaufen kam. Sie half mir auf mein Strohlager. »Dein Fuß, Monika, dein Fuß ist verletzt … und deine Zehen sind ganz blau«, sagte sie und holte Wasser, um mir die Wunden auszuwaschen. »Aber du lebst, ja, du lebst.«
    Als die blonde Frau eines Tages mit Suppe und Brot zu uns kam und sagte, wir dürften in ein paar Tagen nach Hause fahren, glaubten wir ihr zuerst nicht. »Doch, doch. Kinder bekommen jeden Tag Suppe und Brot. Dann stark und nach Hause.«
    Am nächsten Tag erhielten wir tatsächlich wieder Suppe und Brot und diesmal sogar Milch. Und am nächsten und übernächsten auch. Sollte die Frau die

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