Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
Vom Netzwerk:
weil ich mitbekommen wollte, was Schwester Maria sagte, während sie mir behutsam über den blutenden Kopf tupfte. »Es wird einige Zeit dauern, bis alle Läuse weg sind, aber gegen das Jucken unternehmen wir schon heute etwas.« Als ich etwas später bis auf die Fußlumpen entkleidet auf dem Bett vor ihr saß, schämte ich mich. Im Lager hatte ich mich nie nackt ausgezogen. Im Lager waren nur die Toten nackt gewesen … Ich hielt den Kopf tief auf die Brust gesenkt, um meine Tränen zu verbergen.
    »Hier ist ein frisches Laken, Monika. Du frierst doch sicher«, hörte ich Schwester Maria sagen, und schon hüllte sie eine großes weißes Tuch um mich. Kalt war es mir nicht, aber ich war froh, meinen Körper bedecken zu können. »Jetzt möchte ich mir deine Füße ansehen, ja?« »Nein, die Fußlumpen kann ich nicht ausziehen. Dann kann ich nicht mehr laufen. Die Füße tun schrecklich weh.«
    »Gerade weil sie dir so wehtun, muss ich sie mir mal anschauen. Damit ich dir helfen kann … Hab keine Angst. Ich bin ganz vorsichtig.«
    Ich nickte zögernd und hielt ihr den linken Fuß hin.
    »Leg dich am besten zurück.« Während Schwester Maria die Stoffstreifen vorsichtig ablöste, jammerte ich leise vor lauter Brennen und Stechen. Der Fuß war blau und grün. »Zeig mal die Fußsohle«, bat Schwester Maria und betrachtete sie dann mit ernstem Blick. Danach nahm sie meinen rechten Fuß. Doch allein das Abwickeln der Lumpen ließ mich nun laut aufschluchzen. Der rechte Fuß brannte wie Feuer, und es klopfte ein Schmerz darin, der kaum auszuhalten war. Der Fuß war blau und grün und lila und schwarz. Als sie die untere Stoffschicht erreicht hatte, quoll am Fußspann eine dicke gelbgrüne Flüssigkeit hervor, die genauso übel roch, wie sie aussah.
    »Ach, Kind, das sieht aber gar nicht gut aus. Und hier unten klebt etwas fest, da muss der Doktor nachschauen.« Sie legte ein Tuch auf die Wunde. Sofort sog es sich mit dem Eiter voll. Oberhalb des Stückes, das mit meinem Fleisch wie verwachsen war, schnitt sie den letzten Stofffetzen ab. Ich wollte noch sagen, dass sie den Fuß doch lieber wieder mit Lumpen umwickeln sollte, aber das heftige Stechen im Fuß raubte mir die Luft zum Sprechen. »Bleib schön liegen. Ich hole nur schnell den Doktor.« Schwester Maria deckte mich zu und verschwand durch die große Flügeltür.
    Ich vermied es, den Fuß auch nur einen Millimeter zu bewegen, und der stechende Schmerz ließ ein wenig nach. Jetzt erst sah ich, dass einige der anderen Kinder weiße Tücher wie Hüte auf dem Kopf trugen. Und darunter waren sie weiß eingepudert. Lustig sahen sie aus. Die Kinder mit den Hüten hatten gar keine Ähnlichkeit mehr mit den Kindern im Lager. Sie waren sauber, und manche hatten sogar ein Leuchten in den Augen. Einige lachten miteinander. Gerade wurde wieder ein Mädchen eingepudert, und weiße Nebelwolken tanzten durch den Saal. Danach zauberte Schwester Josefine mit ein paar Handgriffen solch einen weißen Hut auf den Kopf des Mädchens. Zu gern hätte ich auch schon sauber und gepudert mit solch einem Hut in dem großen Kissen gelegen. Während ich so dalag und die anderen beobachtete, bekam ich plötzlich Angst, dass Schwester Maria mich vergessen haben könnte. Vielleicht waren auch noch mehr Kinder angekommen, mit denen mussten wir uns jetzt sicher auch die Milch teilen … Ob ich überhaupt noch Milch bekommen würde? Mein leerer Magen rumorte bei dem Gedanken, und ich wollte Schwester Josefine fragen, ob es denn auch genug Milch für alle gab, als ein großer dünner Mann mit einem langen weißen Kittel auf mich zukam. Und dahinter kam Schwester Maria, die mich ausgezogen hatte. Milch hatte sie keine dabei.
    »Das ist der Doktor, Monika. Er wird jetzt deinen Fuß untersuchen.« Der Arzt nickte mir freundlich zu und sagte noch, ich brauchte keine Angst zu haben, er würde mir ganz bestimmt nicht wehtun. Trotzdem zog ich das Laken so hoch, dass nur meine Augen und der Schopf darunter hervorschauten. Der Arzt sah sich den Fuß mit der eitrigen Wunde schweigend an. Viel zu lange dauerte mir das. Es war mir peinlich, dass ich einen so hässlichen und stinkenden Fuß hatte. Endlich begann der Arzt zu sprechen. »Wir müssen dich ins Krankenhaus bringen, Monika. Schwester Maria wird dich noch baden und dann …«
    »Aber ich will nicht wieder weg! Wo soll denn das Krankenhaus sein? Du lügst bestimmt, es gibt doch gar kein Krankenhaus!« Ich rief das, so laut ich konnte; die anderen Kinder

Weitere Kostenlose Bücher