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Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
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sahen mich erschrocken an. Aber schließlich wussten sie so gut wie ich, was mit den Kindern passierte, die auf die Krankenstation kamen. Sie lagen später nackt in der Grube.
    »Doch, doch, es gibt ganz in der Nähe ein Krankenhaus. Mich wirst du dort auch wiedersehen«, beeilte sich der Arzt zu sagen.
    »Das stimmt, Monika«, versicherte die Schwester. »Du musst wirklich keine Angst haben. Du bleibst nur so lange im Krankenhaus, bis der Fuß abgeheilt ist, und dann kommst zurück zu uns ins Kinderheim.«
    Dass ich im Kinderheim war, überhörte ich. Ich fühlte mich wie im Himmel, und da wollte ich bleiben. Aber die beiden sprachen so lieb mit mir, wie es lange kein Erwachsener mehr getan hatte, und so glaubte ich ihnen, dass ich zurückkommen würde. »Und ich darf vorher wirklich baden?«, fragte ich. »Ich bin nämlich sehr dreckig.«
    »Ja, ich mache dir ein schönes, warmes Bad. Danach fühlst du dich viel besser.« Schwester Maria lächelte.
    Kurz darauf hob sie mich behutsam in eine große Zinkwanne. Eine Wanne ganz für mich allein. Ein Stück Seife. Ein Waschlappen. Die Schmerzen in meinem Fuß nahm ich dumpf wahr, ich lag im Wasser und schloss die Augen. Dann spürte ich, wie Schwester Maria begann, mir den Lagerdreck abzuwaschen. Sie begann in meinem Gesicht, an den Wangen, wusch über meine Stirn, die Augen, die Nase, den Mund, säuberte mir die Ohren und die Stellen dahinter, den Hals, die Brust, den Bauch, die Achselhöhlen, den Rücken, den rechten Arm, den linken Arm, das rechte Bein – bis oberhalb der Wunde –, das linke Bein, den rechten Fuß – bis unterhalb der Wunde –, den linken Fuß. Als ich die Augen wieder aufschlug, reichte sie mir einen neuen Waschlappen. »Für den Po«, sagte sie. Nachdem sie mir noch den Kopf gewaschen hatte, hob sie mich aus der Wanne und setzte mich zum Abtrocknen auf einen Tisch. Und wieder hüllte mich die Schwester in ein großes weißes Laken; davon mussten sie hier sehr viele haben. Anschließend kam noch einmal der Doktor. Er nahm mich auf den Arm und lachte. »Du bist ja leicht wie ein Küken«, sagte er und legte mich auf eine schmale Trage. »Ich gebe dir jetzt noch eine Spritze, und dann kannst du ein bisschen schlafen. Wenn du wieder aufwachst, bist du schon im Krankenhaus.«
    Als ich erwachte, lag ich in einem Bett an einer Wand, an der ein Holzkreuz hing. Unter einem Fenster stand ein Tisch mit einem Stuhl, und in einer Ecke gab es ein Schränkchen mit einer großen Schüssel darauf und einer Kanne daneben. Ob in der Kanne Wasser war? Ich wollte mich aufrichten, schaffte es aber nur, den Kopf zu heben. »Lieber Gott, danke, dass ich den Tisch und den Stuhl und das Bett nicht mit anderen Kindern teilen muss«, sagte ich leise, als plötzlich eine Frau mit einem weißen Becher, aus dem es dampfte, neben meinem Bett stand. Meine Milch …
    »Guten Tag, Monika, ich bin Schwester Mathilde.« Sie hatte ein schwarzes Kleid an und eine weiße Haube auf, aber mit einem viel längeren Schleier, als Schwester Maria gehabt hatte. Schnell betastete ich meinen Kopf und tatsächlich, ich hatte auch etwas auf … sicher solch eine Mütze, aus einem Tuch gebastelt, wie sie die Kinder im Heim gehabt hatten. Und als ich dies dachte, kam mir eine Idee … »Guten Tag«, sagte ich brav. Und dann fragte ich: »Sag mal, hast du auch Läuse?«
    Schwester Mathilde guckte einen Moment lang irritiert, aber dann lachte sie laut. »Warum lachst du? Das ist doch nicht lustig, wenn du Läuse hast. Die beißen dich.«
    »Ach, mein Kind, ich lache ja auch nicht über die Läuse. Du hast mich so drollig angeschaut, dass ich lachen musste. Weißt du, du bist hier in einem katholischen Krankenhaus, und ich bin eine Ordensschwester, und wir Ordensschwestern tragen alle solch eine Kopfbedeckung, das gehört zu unserer Tracht. Aber Läuse haben wir nicht.« Sie stellte den Becher auf dem Tisch ab, half mir, mich aufzurichten, und rückte sich selbst den Stuhl ans Bett. Ich ließ die Milch keine Sekunde aus den Augen. »Ist das mein neuer Becher?«, fragte ich.
    »Wir haben viele davon, du musst nicht immer aus derselben Tasse trinken.«
    Ich wusste nicht genau, was das bedeutete, aber es war mir auch erst einmal egal. Ich nahm nur noch den süßen Duft wahr, den die Milch unter meiner Nase verströmte. »Vorsicht, sie war eben noch heiß«, sagte die Ordensschwester. Gierig trank ich mehrere Schlucke hintereinander und wollte die Tasse am liebsten gar nicht mehr absetzen. »Langsam,

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