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Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Dahlhoff
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das Einzige, was mich noch immer mit meiner Mama verband, wo auch immer sie sein mochte.
    Die Lust auf die Schule war mir schon am ersten Tag vergangen. Doch als ich aus dem großen Schultor schritt und mich nach Bernhard umsah, sah ich plötzlich die ganze Familie Koehler und auch Tante Frieda mit ihren Kindern hinter dem Schulzaun stehen. Bernhard hielt eine große Spitztüte, die mit einer großen Schleife zugebunden war, in seinem Arm. »Das ist deine Schultüte, die bekommt jeder Schulanfänger«, sagte er. »Da sind lauter leckere Sachen drin.«
    Den Tornister auf dem Rücken und die Schultüte im Arm, ging ich mit den anderen nach Hause. Franz wollte mir beim Tragen der Tüte helfen, aber ich lehnte dankend ab. Er wich mir trotzdem nicht mehr von der Seite. »Du weißt doch, dass du allen Kindern etwas aus der Tüte abgeben musst?«, sagte er. Und als ich fragend zu Mutti aufschaute, die uns zugehört hatte, nickte sie. »Ja, jedes Kind bekommt aus deiner Tüte ein Teil. Und das dürfen sie sich selbst aussuchen.«
    Das gefiel mir gar nicht. Nur widerwillig schüttete ich in Tante Friedas Küche den Inhalt meiner Schultüte auf den Tisch. Franz beugte sich als Erster darüber, aber auch Bernhard und die beiden Mädchen kletterten neugierig auf die Stühle. Es lagen drei Äpfel, große Nüsse, bunte Bonbons und Plätzchen in unserer Mitte. Auch eins meiner Lieblingsplätzchen war dabei. Es war rund und hatte auf einer Seite ein Loch, das mit roter Marmelade gefüllt war. Nur einmal gab es dieses Plätzchen, und ich überlegte schon fieberhaft, wie ich es vor den anderen verstecken könnte, als Franz’ Hand vorschnellte und sich das Gebäck schnappte. Er steckte es sich sofort in den Mund. Die Wut, die in mir aufwallte, ließ mich alles andere vergessen, und ich stürzte mich mit lautem Gebrüll auf Franz und riss ihm an den Haaren.
    Die anderen waren im ersten Moment erschrocken zurückgewichen, aber dann packte mich der Pflegevater, der von der Ofenbank aus zugesehen hatte, und ich erstarrte sofort. »Bitte nicht schlagen«, jammerte ich.
    »Was ist bloß immer los mit dir?«, fragte er erbost.
    »Ich wusste nicht, dass Monika diese Plätzchen so gern mag, sonst hätte ich für jedes Kind eins hineingetan«, sagte die Pflegemutter beschwichtigend. »Wartet, ich hab doch noch mehr gebacken, ich hole für jeden eins.«
    Nach dem Essen bekam dann jedes Kind solch ein Plätzchen mit Marmelade, nur Franz nicht, denn er hatte seins ja schon aufgegessen. Ich steckte meins in die Schultüte und band sie mit der Schleife fest zu.
    Am nächsten Tag verließ ich mit meinem Tornister stolz das Haus. Aber als wir uns der Schule näherten, wäre ich lieber wieder umgekehrt und hätte Tante Frieda in der Küche geholfen.
    Ich hätte mich im Unterricht am liebsten weggeduckt, als Herr Teuber über mich zu sprechen anfing. Er erzählte den anderen Kindern, dass ich von meiner Familie getrennt worden und lange Zeit allein in Russland gewesen sei. Die Kinder sahen mich neugierig an. Sicher hätte ich dort auch ein wenig von der russischen Sprache mitbekommen, sagte er und trat ganz nah an mich heran, sodass ich den Geruch von Tabak, der in seinen Kleidern hing, riechen konnte. Und jetzt blickte er mich von oben herunter an. »Ich bin nämlich auch euer Russischlehrer, Monika, und vielleicht kannst du den anderen etwas auf Russisch sagen oder ein russisches Lied vorsingen?«
    Mir stockte der Atem. Es war völlig still im Klassenraum. Und dann sagte Herr Teuber etwas auf Russisch. Und der Klang dieser Worte holte mich zurück in das Lager, zurück in die Baracke, zurück zu den Soldaten, die uns gefangen hielten und mit den Mädchen machten, was sie wollten. Ich begann zu würgen und zu husten und bekam kaum noch Luft. Ich sah, dass Herr Teuber auf mich einredete, aber ich hörte seine Stimme nicht mehr. Ich war weit fort, war der Vergangenheit wieder nah, und mit ihr kamen die Angst, der Hunger und die Übelkeit. Ich erbrach mich auf das Kleid.
    Wie ich es schaffte, von meinem Tisch aufzustehen, an Herrn Teuber vorbei zur Tür zu laufen, die Klinke hinunterzudrücken und durch das Schulgebäude auf den Schulhof zu laufen, weiß ich nicht mehr. Ich weiß auch nicht, ob sie mich aufhalten, mir vielleicht sogar helfen wollten, mir nachgingen. Ich kam erst wieder zu mir, als ich allein über den Platz lief, auf dem zwei alte Frauen auf einer Bank saßen. Ich rannte durch das große Tor auf den Hof und über die Wiese zu meinem

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