Eine Handvoll Worte
zog ihr Taschentuch hervor und tupfte sie noch einmal ab, wobei sie sich umdrehte, damit es niemandem auffiel. Vielleicht würde sie doch kurz bei ihrem Arzt vorbeischauen. Nur ein bisschen Hilfe, um die nächsten Tage zu überstehen.
Sie wurde auf eine Gestalt im Tweedmantel aufmerksam, die über den Rasen auf den Spielplatz zukam. Die Füße der Frau stapften trotz des schlammigen Bodens mit der Gleichmäßigkeit eines Automaten entschlossen voran. Jennifer erkannte überrascht, dass es die Sekretärin ihres Mannes war.
Moira Parker ging direkt auf sie zu und blieb so dicht vor ihr stehen, dass Jennifer einen Schritt zurücktreten musste. »Miss Parker?«
Ihre Lippen waren fest zusammengepresst, ihre Augen leuchteten vor Zielbewusstsein. »Ihre Haushälterin hat mir gesagt, wo Sie sind. Darf ich kurz mit Ihnen sprechen?«
»Hm … ja. Natürlich.« Sie drehte sich kurz um. »Schätzchen? Dottie? Esmé? Ich bin hier drüben.«
Die Kinder schauten auf und gruben dann weiter im Sand.
Die beiden Frauen gingen ein paar Schritte, Jennifer blieb in Sichtweite der kleinen Mädchen. Sie hatte dem Kindermädchen der Moncrieffs versprochen, Dorothy gegen vier Uhr nach Hause zu bringen, und es war fast Viertel vor. Sie setzte ein Lächeln auf. »Was gibt es denn, Miss Parker?«
Moira griff in eine abgenutzte Handtasche und zog umständlich einen dicken Ordner heraus.
»Der ist für Sie«, sagte sie barsch.
Jennifer nahm ihn entgegen. Sie schlug ihn auf und legte sogleich eine Hand auf die Blätter, die der Wind fortzuwehen drohte.
»Verlieren Sie nichts.« Das war eine Anweisung.
»Verzeihung … ich verstehe das nicht. Worum handelt es sich hier?«
»Das sind die Leute, die er ausgezahlt hat.«
Als Jennifer sie ausdruckslos anschaute, fuhr Moira fort: »Pleuramesotheliom. Lungenkrankheit. Das sind die Arbeiter, die er ausgezahlt hat, um zu verheimlichen, dass sie durch die Arbeit bei ihm tödlich erkrankt sind.«
Jennifer hob eine Hand an den Kopf. »Wie bitte?«
»Ihr Mann. Alle, die schon gestorben sind, liegen unten. Ihre Familien mussten eine Erklärung unterschreiben, in der sie darauf verzichteten, etwas zu sagen, um an das Geld zu kommen.«
Jennifer hatte Mühe, die Worte der Frau zu verarbeiten. »Gestorben? Verzichterklärungen?«
»Er hat sie sagen lassen, er sei nicht verantwortlich. Er hat sie alle ausgezahlt. Die Südafrikaner haben fast nichts bekommen. Die Fabrikarbeiter hier waren teurer.«
»Aber Asbest tut niemandem etwas zuleide. Das sind nur Unruhestifter in New York, die versuchen, ihm die Schuld zu geben. Das hat Laurence mir gesagt.«
Moira schien gar nicht hinzuhören. Sie fuhr mit dem Finger an einer Liste auf dem oberen Blatt entlang. »Sie sind alle alphabetisch aufgeführt. Sie können mit den Familien sprechen, wenn Sie wollen. Die meisten Adressen stehen obendrauf. Er hat panische Angst davor, dass die Zeitungen davon Wind bekommen.«
»Das sind bloß die Gewerkschaften … Er hat mir gesagt …«
»Andere Firmen helfen sich auch. Ich habe ein paar Telefonate mitgehört, die er mit Goodasbest in Amerika geführt hat. Die finanzieren Recherchen, die belegen, dass Asbest harmlos ist.«
Die Frau redete so schnell, dass Jennifer der Kopf schwirrte. Sie warf einen Blick zu den Kindern hinüber, die sich jetzt mit Sand bewarfen.
Moira Parker sagte spitz: »Ihnen ist wohl klar, dass es ihn ruinieren würde, wenn jemand herausbekäme, was er getan hat. Es wird am Ende herauskommen, verstehen Sie. Es muss einfach. Alles kommt ans Licht.«
Jennifer hielt den Ordner vorsichtig fest, als könnte auch er verseucht sein. »Warum geben Sie mir das? Warum um alles in der Welt glauben Sie, ich wollte etwas unternehmen, was meinem Mann schaden könnte?«
Moira Parkers Ausdruck veränderte sich und wurde beinahe schuldbewusst. Ihre Lippen waren eine schmale rote Linie. »Deshalb.« Sie zog ein zerknittertes Stück Papier heraus und drückte es Jennifer in die Hand. »Das Schreiben kam ein paar Wochen nach Ihrem Unfall. Vor vielen Jahren. Er weiß nicht, dass ich es behalten habe.«
Jennifer faltete das Blatt auseinander.
Ich habe geschworen, keinen Kontakt mehr mit dir aufzunehmen. Doch nach sechs Wochen geht es mir nicht besser. Ohne dich zu sein – Tausende Meilen von dir entfernt – verschafft mir keine Erleichterung. Die Tatsache, dass ich nicht mehr durch deine Nähe gefoltert werde oder vor dem tagtäglichen Beweis stehe, das Einzige, was ich wirklich will, nicht haben zu können,
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