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Eine Handvoll Worte

Titel: Eine Handvoll Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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umfielen.
    Mrs Cordoza hatte ihr angeboten, Esmé zu holen, doch Jennifer hatte entgegnet, sie brauche die Luft. Achtundvierzig Stunden lang hatte sie nichts mit sich anzufangen gewusst, ihr Körper noch sensibilisiert durch seine Berührung, innerlich aufgewühlt bei dem Gedanken daran, was sie getan hatte. Die Ungeheuerlichkeit ihres Verlusts erdrückte sie förmlich. Sie konnte sich nicht mit Valium betäuben: Es musste durchgestanden werden. Ihre Tochter würde sie stets daran erinnern, das Richtige getan zu haben. Sie hatte ihm so viel sagen wollen. Obwohl sie sich einredete, sie sei nicht darauf aus gewesen, ihn zu verführen, wusste sie, dass sie log. Sie hatte ein kleines Stück von ihm haben wollen, eine schöne, kostbare Erinnerung, die sie mitnehmen konnte. Woher hätte sie wissen sollen, dass sie die Büchse der Pandora öffnen würde? Schlimmer noch, wie hätte sie sich vorstellen sollen, dass es ihn dermaßen treffen, ihn vernichten würde?
    An dem Abend in der Botschaft hatte er sehr gefasst gewirkt. Er konnte nicht so gelitten haben wie sie; er konnte nicht dasselbe empfunden haben wie sie. Er war stärker, hatte sie geglaubt. Jetzt aber konnte sie nicht aufhören, an ihn zu denken, an seine Verletzlichkeit, seine freudigen Pläne für sie. Und wie er sie angeschaut hatte, als sie durch das Hotelfoyer zu ihrem Kind gegangen war.
    Sie vernahm seine Stimme, wütend und verwirrt, die durch den Flur hinter ihr hallte: Tu das nicht, Jennifer! Ich werde nicht noch einmal vier Jahre auf dich warten!
    Vergib mir, bat sie ihn im Stillen, tausend Mal am Tag. Doch Laurence hätte nie zugelassen, dass ich sie mitnehme. Und ausgerechnet du könntest mich nicht bitten, sie zu verlassen. Vor allem du solltest es verstehen.
    Immer wieder wischte sie über ihre Augenwinkel, schob es auf den Wind oder ein weiteres Körnchen, das auf rätselhafte Weise ins Auge geflogen war. Ihre Emotionen lagen blank, sie war sich der geringsten Temperaturschwankung bewusst, gebeutelt von ihren wechselnden Empfindungen.
    Laurence ist kein schlechter Mann, sagte sie sich wiederholt. Er ist ein guter Vater, auf seine Art. Wenn er Schwierigkeiten hatte, nett zu Jennifer zu sein, wer wollte es ihm verübeln? Wie viele Männer konnten einer Frau verzeihen, dass sie sich in einen anderen verliebt hatte? Manchmal hatte sie sich gefragt, ob er, wenn sie nicht so schnell schwanger geworden wäre, ihrer nicht überdrüssig geworden wäre und sich entschieden hätte, sie gehen zu lassen. Aber sie glaubte es nicht: Laurence mochte sie zwar nicht mehr lieben, aber er würde die Aussicht, dass sie irgendwo ohne ihn existierte, nicht in Erwägung ziehen.
    Und sie ist mein Trost. Sie stieß ihre Tochter auf der Schaukel an, sah zu, wie ihre Beine in die Höhe flogen, die hüpfenden Locken im Wind flatterten. Das ist viel mehr, als viele Frauen haben. Wie Anthony einmal zu ihr gesagt hatte, es war tröstlich zu wissen, das Richtige getan zu haben.
    »Mama!«
    Dorothy Moncrieff hatte ihren Hut verloren, und Jennifer war kurz von der Suche danach abgelenkt, die beiden kleinen Mädchen gingen mit ihr um die Schaukeln herum, das sich drehende Karussell, spähten unter die Bänke, bis sie ihn auf dem Kopf eines anderen Kindes entdeckten.
    »Man darf nicht stehlen«, sagte Dorothy feierlich, während sie über den Spielplatz zurückgingen.
    »Stimmt«, sagte Jennifer, »aber ich glaube nicht, dass der kleine Junge gestohlen hat. Wahrscheinlich wusste er nicht, dass es dein Hut war.«
    »Wer nicht weiß, was richtig und falsch ist, ist dumm«, verkündete Dorothy.
    »Dumm«, wiederholte Esmé begeistert.
    »Ja, das kann sein«, erwiderte Jennifer. Sie zog den Schal ihrer Tochter fester und schickte sie wieder los, diesmal zum Sandkasten mit der Anweisung, dass sie sich auf keinen Fall mit Sand bewerfen sollten.
    Liebster Boot, schrieb sie in einem weiteren von tausend imaginären Briefen, die sie in den vergangenen beiden Tagen verfasst hatte, Bitte sei mir nicht böse. Du sollst wissen, dass ich mit dir ginge, wenn es auch nur eine Möglichkeit auf Erden dafür gäbe …
    Sie würde keinen Brief schicken. Was gab es noch zu sagen, was sie nicht bereits gesagt hätte? Mit der Zeit wird er mir vergeben, sagte sie sich. Er wird ein gutes Leben haben.
    Sie versuchte, sich vor der nächstliegenden Frage zu verschließen: Wie würde sie leben? Wie konnte sie weitermachen in dem Wissen, dass ihr jetzt zuteilgeworden war? Ihre Augen hatten sich wieder gerötet. Sie

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