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Eine Handvoll Worte

Titel: Eine Handvoll Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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Tränen in die Augen. Dann setzt sich Rory und stellt den Becher vor sie hin, und während sie den Tee trinkt, erzählt er ungewöhnlich wortreich von seinem Tag, dem Freund, den er gerade auf einen Drink getroffen hat und der eine diagonale Route durch Patagonien vorgeschlagen hat. Der Freund – er kennt ihn seit der Kindheit – ist so etwas wie ein Konkurrent im Reisen geworden. »Du kennst diese Typen. Man sagt, man will nach Peru. Er sagt: ›Oh, vergiss den Weg zum Machu Picchu, ich habe drei Nächte bei den Pygmäen im Atacanta-Dschungel verbracht. Die haben mir einen ihrer Verwandten zu essen gegeben, als uns das Pavianfleisch ausging.‹«
    »Nett.« Sie hat sich auf dem Sofa eingerollt und umfasst den Teebecher mit beiden Händen.
    »Ich mag den Kerl, aber ich bin mir einfach nicht sicher, ob ich es sechs Monate mit ihm aushalte.«
    »So lange willst du wegbleiben?«
    »Hoffentlich.«
    Sie wird von einer weiteren Woge des Elends erfasst. Rory ist zwar nicht John, aber es war eine Art Ausgleich gewesen, einen Mann zu haben, den man hin und wieder anrufen konnte, wenn man abends weggehen wollte.
    »Also, was ist los?«, fragt er.
    »Oh … ich hatte einen komischen Tag.«
    »Heute ist Samstag. Ich bin davon ausgegangen, dass Mädels wie du sich zum Plaudern beim Lunch treffen und Schuhe einkaufen gehen.«
    »Keine Klischees hier, bitte. Ich bin bei Jennifer Stirling gewesen.«
    »Bei wem?«
    »Der Briefdame.«
    Sie sieht ihm seine Überraschung an. Er beugt sich vor. »Wow. Sie hat dich also tatsächlich angerufen. Was ist passiert?«
    Plötzlich fängt sie erneut an zu weinen. »Tut mir leid«, murmelt sie und kramt nach Taschentüchern. »Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, warum ich mich so albern aufführe.«
    Sie spürt seine Hand auf ihrer Schulter, einen Arm um sich. Rory riecht nach Kneipe, Deodorant, sauberen Haaren und draußen. »Hey«, sagt er leise, »hey … das sieht dir gar nicht ähnlich.«
    Woher willst du das wissen?, denkt sie. Niemand weiß, was mir ähnlich sieht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich es weiß. »Sie hat mir alles erzählt. Die ganze Liebesaffäre. Oh, Rory, es ist herzzerreißend. Sie haben sich so geliebt, und sie haben sich vermisst, bis er in Afrika ums Leben kam und sie ihn nie wiedersah.« Sie schluchzt so heftig, dass ihre Worte fast nicht zu verstehen sind.
    Er nimmt sie in den Arm und senkt den Kopf, um alles mitzubekommen. »Mit einer alten Dame zu sprechen hat dich so traurig gemacht? Eine missglückte Liebesaffäre, die vierzig Jahre zurückliegt?«
    »Du hättest dort sein müssen. Du hättest hören müssen, was sie sagte.« Sie erzählt ihm ein wenig von der Geschichte und wischt sich über die Augen. »Sie ist so schön und anmutig und traurig. Okay, vielleicht nicht anmutig.«
    Sie legt den Kopf an seine Schulter.
    »Ich habe nie gedacht, dass du … Versteh das bitte nicht falsch, Ellie, aber du hast mich überrascht. Ich hätte nie gedacht, dass dich diese Briefe derart mitnehmen könnten.«
    »Es sind nicht nur die Briefe.« Sie schnieft.
    Er wartet. Er lehnt sich auf dem Sofa zurück, doch seine Hand ruht noch immer leicht auf ihrem Nacken. Sie will nicht, dass er sie fortzieht. »Was dann?« Seine Stimme ist leise, forschend.
    »Ich habe Angst …«
    »Wovor?«
    Ihre Stimme wird zu einem Flüstern: »Ich habe Angst, dass mich niemand so lieben wird.«
    Trunkenheit hat sie leichtsinnig gemacht. Seine Augen sind weicher geworden, er hat die Mundwinkel etwas herabgezogen, als wolle er Mitgefühl ausdrücken. Er betrachtet sie, und sie tupft sich kraftlos die Augen ab. Einen Moment lang glaubt sie, er werde sie küssen, doch stattdessen nimmt er einen Brief zur Hand und liest ihn laut vor:
    Als ich heute Abend auf dem Weg nach Hause war, geriet ich in eine Auseinandersetzung, die sich aus einer Kneipe ergoss. Zwei Männer prügelten sich, angefeuert von Betrunkenen, und plötzlich steckte ich mitten in ihrem Lärm und Chaos, dem Fluchen und den umherfliegenden Flaschen. In der Ferne ertönte eine Polizeisirene. Männer flohen in alle Richtungen, Wagen wichen mit kreischenden Reifen dem Kampf aus. Und ich konnte nur daran denken, wie sich dein Mundwinkel kräuselt, wenn du lächelst. Und ich hatte das außergewöhnliche Gefühl, dass du genau in dem Augenblick an mich dachtest.
    Das klingt vielleicht überspannt; kann sein, dass du an das Theater gedacht hast, oder an die Wirtschaftskrise, oder ob du neue Vorhänge kaufen sollst. Doch plötzlich,

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