Eine Handvoll Worte
indigofarbenen Jeans.
Ich möchte Jeans tragen, wenn ich über sechzig bin, denkt Ellie. »Sie haben gesagt, ich könnte wiederkommen.«
»Aber sicher. Ich muss zugeben, es war mir ein heimliches Vergnügen, dass ich letzte Woche mein Herz ausschütten konnte. Außerdem erinnern Sie mich ein wenig an meine Tochter, die wirklich eine Wonne für mich ist. Mir fehlt es, dass sie nicht in der Nähe ist.«
Ellie empfindet eine alberne Freude darüber, mit der Calvin-Klein-Frau auf dem Foto verglichen zu werden. Sie verdrängt den Grund, warum sie hier ist. »Solange ich Sie nicht belästige …«
»Überhaupt nicht. Solange das Gefasel einer alten Frau Sie nicht entsetzlich langweilt. Ich wollte gerade einen Spaziergang auf dem Primrose Hill machen. Kommen Sie mit?« Sie machen sich auf den Weg, sprechen ein wenig über die Gegend, die Orte, an denen sie jeweils gelebt haben, Ellies Schuhe, die Mrs Stirling bewundert, wie sie gesteht. »Meine Füße sind grauenhaft«, sagt sie. »Als ich in Ihrem Alter war, haben wir sie jeden Tag in Pumps gezwängt. Ihre Generation muss es so viel bequemer haben.«
»Ja, aber meine Generation hat nie so ausgesehen wie Sie.« Ellie denkt an das Bild von Jennifer als junge Mutter, das Make-up und die perfekte Frisur.
»Oh, uns blieb eigentlich nichts anderes übrig. Es war eine furchtbare Tyrannei. Laurence – mein Mann – wollte nicht, dass ich mich fotografieren lasse, bevor ich nicht tipptopp aussah.« Sie wirkt heute leichter, nicht so sehr von schleppenden Erinnerungen gedrückt. Sie schreitet forsch aus, wie eine viel Jüngere, und hin und wieder muss Ellie ein Stück laufen, um mitzuhalten. »Ich werde Ihnen etwas sagen. Vor ein paar Wochen ging ich zum Bahnhof, um mir eine Zeitung zu holen, und da stand eine junge Frau offensichtlich in ihrer Schlafanzughose und diesen riesigen Schafsfellstiefeln. Wie heißen die noch?«
»Uggs.«
Jennifers Stimme ist fröhlich. »Genau. Die Dinger sehen grauenvoll aus. Ich habe gesehen, wie sie einen halben Liter Milch gekauft hat, ihre Haare standen hinten hoch, und ich habe sie entsetzlich um ihre Freiheit beneidet. Wie eine Geisteskranke habe ich sie angestarrt.« Sie lacht. »Danushka, die den Kiosk betreibt, fragte mich, was um alles in der Welt das arme Mädchen mir angetan habe … Unser Leben war schon recht eingeengt.«
»Kann ich Sie etwas fragen?«
Jennifers Mundwinkel gehen ein wenig nach oben. »Ich vermute, Sie tun es ohnehin.«
»Haben Sie nach allem, was passiert ist, jemals ein schlechtes Gefühl? Damit, eine Affäre gehabt zu haben, meine ich.«
»Wollen Sie damit fragen, ob ich es bereue, meinen Mann verletzt zu haben?«
»Kann sein.«
»Und ist das … Neugier? Oder die Bitte um Absolution?«
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich beides.« Ellie kaut an einem Fingernagel. »Ich glaube, mein … John … steht womöglich kurz davor, seine Frau zu verlassen.«
Sie schweigen. Jennifer bleibt vor den Toren von Primrose Hill stehen. »Kinder?«
Ellie schaut nicht auf. »Ja.«
»Das ist eine große Verantwortung.«
»Ich weiß.«
»Und Sie haben ein wenig Angst.«
Ellie findet die Worte, die sie sonst niemandem hat sagen können. »Ich wäre gern sicher, dass ich das Richtige tue. Dass sich der ganze Schmerz lohnt, den ich verursachen werde.«
Was hat diese Frau nur an sich, dass man nicht mit der Wahrheit hinterm Berg halten kann? Sie spürt Jennifers Blick und möchte in der Tat freigesprochen werden. Boots Worte fallen ihr ein: Du erweckst in mir den Wunsch, ein besserer Mann zu sein. Sie will ein besserer Mensch sein. Sie will nicht hier spazieren gehen und sich gleichzeitig gedanklich mit der Frage beschäftigen, welche Versatzstücke dieser Unterhaltung sie erbeuten und in einer Zeitung veröffentlichen will.
Die Jahre, in denen sie sich anderer Leute Probleme angehört hat, haben Jennifer anscheinend die Ausstrahlung kluger Neutralität verliehen. Als sie schließlich spricht, spürt Ellie, dass sie ihre Worte sorgsam gewählt hat. »Ich bin mir sicher, dass Sie das untereinander ins Reine bringen. Sie müssen einfach nur ehrlich sein. So ehrlich, dass es wehtut. Und es kann sein, dass Sie nicht immer die Antworten bekommen, die Sie hören wollen. Daran wurde ich erinnert, als ich Anthonys Briefe noch einmal las, nachdem Sie letzte Woche gegangen waren. Da gab es keine Spielchen. Ich habe nie jemanden kennengelernt – weder davor noch danach –, mit dem ich so ehrlich sein konnte.«
Sie seufzt und winkt
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