Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
nicht so ein merkwürdiger Tag, hätte sie nichts darauf erwidert. So lächelte Julianne wehmütig und antwortete: »Er hat mich gefragt, ob ich seinen Bruder geliebt habe.«
»Also, das ist ein gutes Zeichen«, erwiderte die Duchess mitfühlend. »Was hast du darauf geantwortet?«
»Störe ich?«
Beim Klang der Männerstimme fuhr Juliannes Kopf herum. Michael betrat den Salon. Er machte ganz den Eindruck eines gewöhnlichen Gentlemans aus den besten Kreisen. Er trug Krawatte und einen maßgeschneiderten Anzug. Aber sie fand, dass er auch müde aussah, und an seinen Stiefeln klebte Dreck. Das Haar war vom Wind zerzaust.
»Michael.«
»Habt ihr jemand anderes erwartet?«
Am liebsten wäre Julianne aufgesprungen und hätte sich in seine Arme geworfen, stattdessen platzte sie heraus: »Meine Mutter ist gerade gegangen.«
»Wie schade, dass ich sie verpasst habe.« Eine angemessen höfliche Antwort. Er setzte sich nicht, sondern blieb stehen. »Ich hoffe, es geht ihr gut.«
Wie konnte er nur so … so verflucht förmlich sein? »Nicht ganz«, sagte Julianne möglichst ruhig. »Sie scheint zu glauben, es bestünde zwischen einem Zeitungsbericht und dir ein Zusammenhang und dass du es einfach versäumt hast, diesen Unfall zu erwähnen.«
»Nein.«
»Es gab keinen Unfall?«
Sein Lächeln war kaum mehr als das ironische Verziehen der Lippen. »Nein. Es war kein Unfall. Jemand hat absichtlich auf mich geschossen.«
Sie wusste nicht genau, was sie darauf antworten sollte, deshalb starrte sie ihn sprachlos an.
Die Duchess gab einen erstickten Laut von sich.
Mit ausgesuchter Höflichkeit sagte er: »Kannst du uns bitte für einen Moment entschuldigen, Mutter? Ich würde sehr gerne mit meiner Frau unter vier Augen sprechen. Wollen wir nach oben gehen, Julianne?«
»Du wirst London verlassen.«
Er wusste im selben Moment, als er es aussprach, dass seine eigentliche Bitte wie ein Befehl klang. »Nein, lass es mich anders formulieren. Ich finde, du solltest dich bis auf Weiteres mit Chloe auf den herzoglichen Landsitz in Kent zurückziehen. Fitzhugh wird mit euch kommen.«
Julianne ging langsam zum Bett und setzte sich auf die Kante. Ihre dunkelblauen Augen funkelten. »Ich werde darüber gerne nachdenken, wenn du mir ganz genau erzählst, was vorgefallen ist. Ich bin nicht dumm, und ich habe bereits begriffen, dass du für die britische Regierung arbeitest. Und die Arbeit ist dergestalt angelegt, dass sie offensichtlich Gefahren mit sich bringt. In der Nacht nach unserer Hochzeit hast du versucht, meinen Fragen nach deiner Verletzung auszuweichen, und du warst seitdem auch nicht gerade mitteilsam. Ich werde jetzt nicht behaupten, du würdest mir die Wahrheit schulden.« Ihr Lächeln bebte. »Auch ich habe ein Geheimnis vor dir gehabt, und ich werde daher nicht heucheln. Aber ich liebe dich und will alle Belange deines Lebens teilen und nicht nur den winzigen Teil, den du mir bisher zugestanden hast.«
Keine der Gefahren, denen er in seinem bisherigen Leben trotzen musste, hatte ihn je so gelähmt. Er war von den Franzosen gefangen genommen und gefoltert worden. Er hatte blutige Schlachten geschlagen, und nach Talavera hatte man ihn einmal halb tot auf dem Schlachtfeld zurückgelassen. Blutend war er an gefallenen Kameraden vorbeigekrochen, bis er Stimmen hörte und auf sich aufmerksam machen konnte. Danach war er völlig entkräftet zusammengebrochen.
Das alles war viel einfacher gewesen als das hier.
In diesem Moment konnte er sich nicht rühren. Sein Atem stockte, und er stand einfach erstarrt vor ihr.
Er hatte diese Worte hören wollen, und nun hatte sich dieser Wunsch erfüllt. Was sollte er nun damit anfangen?
Julianne wartete. Ihre Miene war gequält, und sie hatte die Hände züchtig im Schoß gefaltet.
Schließlich räusperte er sich. »Ich …«
»Ja?«, hakte sie nach, weil er nicht weitersprach.
Verflixt noch mal ,dachte er. Er rang nach den richtigen Worten. Sie war so jung und unerfahren, doch irgendwie war es ihr dank dieser schlichten Liebeserklärung gelungen, die Oberhand zu gewinnen. Und wenn er das leise Lächeln richtig deutete, das ihre weichen Lippen umspielte, war sie sich dieses Umstands deutlich bewusst.
Michael atmete tief durch und sagte ruhig: »Ich werde versuchen, möglichst ehrlich zu dir zu sein. Aber manche Geheimnisse darf ich dir nicht enthüllen.«
War sie nun enttäuscht, weil er nicht vor ihr auf die Knie ging und ihr seine unsterbliche Ergebenheit gestand? Sie machte
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