Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
hin und wieder musste Michael laut über eine Idee nachdenken. Luke kannte zudem Teile der Geschichte, da er damals persönlich betroffen gewesen war. Er hatte darauf gehofft, den Viscount in einer ruhigen Minute anzutreffen. Tatsächlich blickte Luke von seiner Zeitung auf, als Michael an seinen Tisch trat. Luke freute sich, ihn zu sehen, aber in seinen Augen blitzte zugleich Neugier. Statt einer Begrüßung fragte er: »Wurde gestern wirklich auf dich geschossen?«
Verflixt und zugenäht. Michael hatte den einzelnen Lakaien, der aus Lady Armingtons Haus gestürzt war, um ihm zu Hilfe zu kommen, völlig vergessen. Ein Marquess, der in Mayfair auf offener Straße angeschossen wurde, blieb nicht unbemerkt. Er sank in einen Sessel und sagte: »Sehe ich aus, als wäre ich verwundet?«
»Eigentlich nicht.« Luke faltete die Zeitung zusammen und schob sie über den Tisch. Sein Blick war immer noch skeptisch. »Aber das muss bei dir nichts heißen. Vor nicht allzu langer Zeit hat man versucht, dich zu erstechen, und davon habe ich auch nichts bemerkt. Hier, lies mal.«
Der gezeichnete Marquess?
Man erzählt sich, dass ein gewisser Lord L. gestern Opfer einer Schusswunde wurde, als er friedlich durch eine der besten Gegenden Londons spazierte. Man muss sich fragen, ob der Vorfall ein Unfall war oder ob jemand es auf das Leben Seiner Lordschaft abgesehen hat.
Es schien also ratsam, Julianne möglichst bald von dem Vorfall zu erzählen. Michael kommentierte die Zeitungsmeldung nicht, sondern fragte: »Was denkst du über Alice Stewart?«
Sofort war ihm Lukes Aufmerksamkeit gewiss. Er lehnte sich zurück und nickte. Seine grauen Augen verengten sich leicht. »Die Cousine meiner Frau? Das ist eine spannende Frage. Sie hat sich große Mühe gegeben, meinen Stiefsohn als Druckmittel zu missbrauchen, um England ungehindert verlassen zu können, nachdem sie meine Frau in der Öffentlichkeit bloßgestellt hat. Natürlich verabscheue ich dieses widerliche Weibsbild.«
Die Frage war nur rhetorisch gewesen, denn beide erinnerten sich noch allzu gut an den Vorfall. »Ich habe immer geglaubt, es könnte zwischen ihr und einem gewissen alten Freund eine Verbindung bestehen.«
»Du meinst Roget?«
»Eben diesen.«
»Kannst du mir mehr darüber erzählen?«
»Nicht über ihn. Aber ich denke viel über Mrs. Stewart nach.« Michael klang möglichst unbeteiligt. »Ich nehme an, deine Frau hat nichts von ihr gehört?«
»Nein. Madeline verabscheut sie. Wenn sie Kontakt zu uns aufnehmen würde, wäre ich der Erste, der davon erfährt.«
»Ich frage mich einfach, ob nicht sie hinter den Mordversuchen stecken könnte, die in letzter Zeit auf mich verübt wurden.«
Der Kellner brachte ihre Getränke, und Luke schwieg, bis er den Rotwein eingeschenkt hatte und sie wieder allein waren. Dann sagte er: »Wie denn? Ich dachte, sie hat England damals verlassen.«
»Das hat sie auch. Einer meiner Gefolgsmänner hat zugesehen, wie ihr Schiff den Anker lichtete und Richtung Indien davonsegelte. Die Überfahrt dauert Monate.« Nachdenklich betrachtete Michael sein Glas. »Doch der Mann, der glücklicherweise gestern sein Ziel verfehlte, war von einer Frau angeheuert worden. Ich habe versucht, eine Liste der Frauen aufzustellen, die sich an mir rächen wollen. Je länger ich darüber nachdenke, umso überzeugter bin ich, dass sie ganz oben auf dieser Liste steht.«
»Aber zwischen ihr und dir liegt ja vermutlich ein Ozean.«
»Vermutungen sind in diesem Zusammenhang wohl gefährlich.«
Luke beugte sich vor und legte die Unterarme auf die Tischplatte. »Alice hegt auch gegen Madeline einen ungesunden Groll. Darum bereitet mir deine Andeutung große Sorgen. Wie kann ich dir helfen?«
Auf Michael war geschossen worden?
Als ob der Tag bisher nicht schon verwirrend genug gewesen war. Das waren schreckliche Neuigkeiten, und es trug nicht gerade dazu bei, ihre Stimmung zu verbessern. Julianne schüttelte betäubt den Kopf und blickte ihre Mutter an. »Das ist nicht möglich. Er hat mich doch …«
Lieber Himmel! Beinahe hätte sie ausgeplaudert, dass er sie am Vorabend die Treppe hinaufgetragen hatte. Das hätte nur noch mehr Fragen aufgeworfen, die sie nicht beantworten wollte. Hastig fügte sie hinzu: »Gestern Abend machte er auf mich einen ganz gelassenen Eindruck. Vielleicht hat die Zeitung falsche Informationen. Oder sie meinen einen anderen Lord L..«
Leider war die Duchess eine noch schlechtere Schauspielerin als Julianne. Obwohl man zu
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