Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
Everetts Wohnung war verlassen gewesen, als er dorthin ging, um ihn zu befragen. Er konnte es ihm nicht verdenken. Er hatte schon Soldaten erlebt, die sich unter Antonias Befragungen wanden und ihr alles preisgaben. Er konnte es dem Mann also kaum verdenken, dass er das Weite gesucht hatte. Zum Glück war der Gastwirt in der Lage gewesen, ihm eine Reihe von Orten zu nennen, wohin er sich möglicherweise zurückgezogen hatte. Es wäre sonst zu schwierig, den Mann zu finden.
Außerdem hatte er jetzt eine bessere Beschreibung der geheimnisvollen Frau, die ihn tot sehen wollte. Schlank, von mittlerer Größe und, was wohl das interessanteste Detail war: eine Lady. Der Gastwirt hatte sehr überzeugt geklungen, als er ihm erklärte, sie sei in seinem Pub ungefähr so fehl am Platz gewesen wie eine Hure aus Whitechapel in einem Nonnenkloster. Er hatte es sofort bemerkt, als sie das erste Mal nach jemandem fragte, den sie mit einer delikaten Angelegenheit betrauen könne. Es war vor allem ihre Stimme, hatte er erklärt, die Stimme und die gewählten Worte. Sobald Michael ein paar Münzen auf den Tisch gelegt hatte, um dem Gedächtnis des Wirts auf die Sprünge zu helfen, hatte er freimütig zugegeben, dass er es gewesen war, der ihr Everett empfohlen hatte. Everett habe in der Vergangenheit ähnliche Aufträge mit Bravour erledigt. Die Frau hatte ihn daraufhin gebeten, eine Verabredung mit ihm zu arrangieren.
Michael hatte außerdem noch etwas anderes Interessantes erfahren. Das rote Haar war eine Perücke. Der Gastwirt behauptete, er könnte das beschwören. Aber was ging es ihn an, wenn sie nicht erkannt werden wollte? Michael war im Grunde nicht überrascht. Immerhin hatte sie einen Mann angeheuert, der ihn ermorden sollte.
Gott schütze die aufmerksamen Gastwirte ,dachte er, während er wieder zu der Stelle spazierte, wo der Droschkenkutscher auf ihn wartete.
Dreimal hatte man versucht, ihn zu ermorden. Alle drei Mordversuche waren gescheitert. Bestimmt war sie langsam ziemlich frustriert, wenn sie überhaupt schon wusste, dass der letzte Mordversuch nicht von Erfolg gekrönt war. Während er mit ein paar knappen Bewegungen seine Krawatte band und seinen schäbigen Mantel durch einen besseren ersetzte, dachte er weiterhin darüber nach, wer die Frau wohl sein könnte. Ihm kam allmählich ein Verdacht.
Er konnte sich nur an eine Frau erinnern, die einen ziemlich großen Groll gegen ihn hegte.
Es war nicht, wie Antonia vermutete, eine ehemalige Geliebte, die sich so in ihrem Stolz verletzt fühlte, dass sie versuchte, ihn umbringen zu lassen. Je länger er über den Umstand nachdachte, dass sie eine Verkleidung benutzte, damit er ihr nicht auf die Schliche kam, umso mehr glaubte Michael, es müsse sich um diese Frau handeln. Sie könnte durchaus Rache von der tödlichsten Sorte suchen.
Sie war nicht seine Geliebte gewesen, sondern Rogets frühere Mätresse. Das Problem war jedoch, dass er für sie vor Monaten eine Schiffspassage arrangiert hatte. Soweit er wusste – und abgesehen von seinem Versagen bei der Suche nach Roget verfügte er über ausgezeichnete Quellen –, war sie nicht mehr in England.
Als die Droschke vor seinem Club hielt, stieg er aus und bezahlte den Kutscher. Während er den Club betrat, dachte er, dass das Vorgehen zu dieser Frau passen würde. Sie war es gewohnt, Intrigen zu spinnen, und wollte ihn allein aus Rache ermorden lassen. Und das nur, weil er die Pläne dieser Frau durchkreuzt und sie des Landes verwiesen hatte.
Vielleicht hätte er Alice Stewart damals ernster nehmen sollen. Er war sich ziemlich sicher, dass sie mindestens zwei Menschen ermordet hatte, und sie hatte sich auf jeden Fall auch der Entführung eines kleinen Jungen schuldig gemacht. Aber er legte Konflikte möglichst still bei, und nachdem sie ihm alle ihr zur Verfügung stehenden Informationen gegeben hatte, hatte er ihr deshalb die Flucht aus England ermöglicht. Angelegenheiten des Geheimdienstes sollten prinzipiell geheim bleiben, und eine Spionin vor Gericht zu stellen, war eine verzwickte Sache. Darum hatte er sie damals laufen lassen.
Und jetzt fragte er sich, ob er einen schweren Fehler gemacht hatte.
»Guten Tag, Mylord.« Der Oberkellner nahm mit einer dezenten Verbeugung seinen Mantel entgegen. »Es ist immer wieder schön, Sie hier begrüßen zu dürfen.«
»Danke, Phillip. Ist zufällig Lord Altea heute zugegen?«
»Zufällig, ja. Er sitzt an Eurem gewohnten Tisch.«
Gut. Es passierte nicht oft, aber
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