Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
hatte Antonia auf höchst schmerzhafte Weise lernen müssen. Ob Michaels Braut darauf vorbereitet war?
Nun, dieses hübsche Kätzchen hatte einen Tiger geheiratet. Einen ausgewachsenen Mann mit einem Jagdinstinkt, den die Jahre des Kriegs verfeinert hatten. Ein Mann, der sich von Gefahr und Risiken magisch angezogen fühlte. Er sah so kultiviert und attraktiv aus, wie er da vorne stand, aber in Wahrheit war er nicht annähernd so zivilisiert, wie er sich gerne gab. Antonia hatte von seinem Wissen profitiert, als er ihr beigebracht hatte, wie man sich leise und unentdeckt in Feindesland bewegte. Und auch ein paar andere Fähigkeiten hatte sie ihm zu verdanken, die allerdings ein wenig tödlicher waren. Im Krieg eine durchaus wertvolle Fähigkeit … Doch sie bezweifelte, dass die Londoner Gesellschaft ihre Meinung teilte.
Er nahm die Hand dieses naiven Mädchens. Sie hielt den Blick starr auf die beiden Hände gerichtet, die sich in dieser symbolischen Geste umfasst hielten, doch Antonia sah nur seine langen Finger, ohne die Hand der Frau.
Der Bischof begann, die Trauformel zu sprechen. Antonia hörte zu – und ein kleiner Teil von ihr starb.
Aber ich bin schon vorher tot gewesen, ermahnte sie sich. Schon damals bin ich aus den Ruinen dieses verlorenen Lebens wiederauferstanden.
Endlich war es vorbei.
»Ihr dürft die Braut nun küssen.«
Antonia zwang sich, hinzusehen. Michael nahm die Einladung an. Es fühlte sich an, als würde jemand ihre Seele häuten, aber das würde irgendwann wieder heilen. Es war bis jetzt noch immer verheilt.
Sie konnte nur darum beten, dass es dieses Mal nicht anders kam.
Die Welt war surreal und verschwommen, als hätte jemand die Ecken mit einem nachlässigen Pinselstrich auf einer noch nicht getrockneten Leinwand verwischt. Julianne blickte zu dem Mann auf, der neben ihr stand. Sie war … gelähmt.
Ein Gefühl unter vielen, ein Gedanke unter Tausenden. Nichts davon konnte sie tatsächlich in Worte fassen.
Das Gesicht des neuen Marquess of Longhaven war undurchdringlich, und seine Finger strichen über ihr Kinn und zwangen es sanft nach oben. Einen Augenblick lang schien er zu zögern, dann senkte er entschlossen den Kopf und küsste sie.
Warme Lippen berührten ihre und legten sich auf ihren Mund. Sein Mund war fest und zugleich weich, der Druck seiner Lippen ganz leicht, dennoch unnachgiebig.
Die Berührung dauerte vermutlich nur wenige Sekunden, aber es kam ihr länger vor. Es kam ihr vor, als dauerte es ewig, und ihr Atem beschleunigte sich und stockte dann wieder in ihrer Kehle. Als er sich von ihr löste, starrten sie einander an. Seine nussbraunen Augen schimmerten grünlich, goldene Flecken funkelten darin. Dichte Wimpern umrahmten seine Augen. Es war das erste Mal, dass sie ihm so nahe war, und es war ebenfalls das erste Mal, dass sie das Gefühl hatte, seine volle Aufmerksamkeit zu haben.
Jetzt konnte für sie kein Zweifel mehr bestehen – sie hatte es getan. Sie hatte Harrys geheimnisvollen Bruder geheiratet, und sie war seine Frau in guten wie in schlechten Zeiten. Sie hatten diese Abmachung bereits mit einem Kuss besiegelt.
Ein sehr erhellender Kuss. Er war sogar recht angenehm gewesen, obwohl all die Leute ihnen dabei zugesehen hatten, weshalb sie jetzt nachträglich errötete.
In diesem Moment war plötzlich eine Stimme in ihrem Kopf, die ihr zuflüsterte: Das hätte eher an einem ruhigen Ort und unter vier Augen geschehen sollen. Mondlicht hätte ihren ersten Kuss begleiten sollen, vielleicht noch ein Springbrunnen, der im Hintergrund dezent plätscherte. Sie hätte den Mann, der ihr diesen magischen, ersten Kuss gab, lieben sollen …
Und natürlich wäre er ihr leidenschaftlich ergeben.
Aber das hier war keine romantische Fantasie – das hier war ihr Leben. Er war ihr nicht im Geringsten ergeben, sondern bloß ein pflichtbewusster Sohn, wie auch sie eine pflichtbewusste Tochter war. Sie hatten geheiratet, weil ihre Ehe ihren Familien gefiel.
Nun, wenigstens das hatten sie gemeinsam.
Michael Hepburn richtete sich wieder auf, schaute ihr noch einen Augenblick mit dieser ganz bestimmten Intensität in die Augen, bei der sie immer das unangenehme Gefühl hatte, er sehe mehr als nur die Frau. Dann bot er ihr seinen Arm an.
So einfach war es also. Ein Arm, den er ihr höflich reichte. Wenn sie sich unterhakte, ließ sie sich auf diese neue Wendung ihres Lebens ein. Sie gehorchte unwillkürlich und legte ihre kalte Hand auf seinen Ärmel. Die Finger
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