Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
Julianne vermisste die Freundin ebenso sehr. »Aber ich weiß einfach nicht, was ich sonst tun soll. Es ist sogar nicht schlimmer, weil es zunehmend kompliziert wird. Aus mir unerfindlichen Gründen hat mein Ehemann seinen Butler beauftragt, mich zusammen mit meiner Zofe überallhin zu begleiten.«
»Ach, Liebes.« Melanie sank auf einen der Stühle. Sie zog die zarten Brauen zusammen. »Nun, ich denke aber, die Dienerschaft wird dir kaum neugierige Fragen stellen dürfen.«
»Meine alte Zofe hat Fragen gestellt«, bemerkte Julianne trocken. »Sie hatte nämlich eine Schwäche für einen Lakaien deines Vaters. Es war zu ihrem Vorteil, wenn ich hier so lange blieb, wie es mir beliebte. Ich hoffe bloß, Fitzhugh und das Mädchen, das der Duke für mich eingestellt hat, werden nicht irgendwann misstrauisch. Um Camille mache ich mir keine Sorgen, eher um Fitzhugh. Mein Ehemann und er haben wohl keine herkömmliche Beziehung zwischen Dienstherr und Diener.«
Melanie lächelte, und auf ihren Wangen zeigten sich winzige Grübchen. Mit der Hand zupfte sie an ihrem Rock herum. »Ich weiß, du bist in Eile, aber ich bin neugierig. Wie ist das Leben als verheiratete Frau?«
Ihre Freundin war ebenfalls schon verlobt, und Julianne konnte es ihr nicht verdenken, wenn ihr diese persönliche Frage auf der Seele brannte. Aber Melanies geckenhafter und fröhlicher Verlobter war mit Michael nicht zu vergleichen. Lord Day war eine gute Partie und verfügte über ein großes Vermögen. Aber eine Ehe mit ihm wäre vermutlich völlig anders als eine Ehe mit Michael. »Es ist … interessant.«
»Ach bitte, Jule. Was ist das denn für eine Antwort? Interessant im guten Sinne oder im schlechten Sinne?«
Julianne wurde rot. »Meistens im guten Sinne, obwohl ich ihn tagsüber fast nie zu Gesicht bekomme. Das meiste passiert eher … später.«
»Oh, ich verstehe.« Ihre Freundin war peinlich berührt, doch schien sie fasziniert zu sein. »Der Marquess ist wirklich ziemlich Respekt einflößend. Ich frage mich, wie du mit ihm zurechtkommst.«
Julianne musste unwillkürlich an all die Dinge denken, die er mit ihrem nackten Körper tat – und wie sehr sie das mochte. Ihre Wangen wurden noch heißer. Sie hätte gerne gesagt, sie lernten einander kennen, aber das entsprach nicht unbedingt der Wahrheit. Stattdessen sagte sie: »Wir scheinen eine gemeinsame Basis gefunden zu haben.«
Zumindest ein gemeinsames Bett.
Julianne hasste die Vorstellung, dass ihre Ehe ihm nichts anderes bot. Aber vielleicht gelang es ihr ja im Laufe der Zeit … Im Moment jedoch wollte sie sich dringenderen Angelegenheiten widmen. »Ist es sicher, wenn ich jetzt den Dienstbotenausgang nehme? Ich glaube, ich sollte lieber nicht so lange wie sonst fortbleiben. Du kannst mich also früh zurückerwarten.«
»Ich gehe zuerst, wie wir es zuletzt auch gemacht haben, um sicherzustellen, dass niemand dich sieht.« Ihre Freundin stand auf und bedeutete Julianne, ihr zu folgen.
Zum Glück gelang es ihr ohne Zwischenfall, das Haus zu verlassen, und Julianne fand auch die Mietdroschke an vereinbarter Stelle. Der Kutscher wartete bereits auf sie. Schnell schlüpfte sie ins Innere des Gefährts, und schon rumpelte die Kutsche die Gasse entlang und bog in die Curzon Street ein. Die Fahrt dauerte allein schon eine ganze Stunde, weshalb ihr nur zwei Stunden für den Besuch selbst blieben. Während der Fahrt wurde die Gegend immer schäbiger. Sie fragte sich, was wohl geschah, wenn sie ihr Versteckspiel aufgab und einfach die Wahrheit sagte. Obwohl sie gute Gründe hatte, das Geheimnis zu bewahren, war sie sich nicht sicher, ob andere ihre Meinung teilen würden.
Wie würde zum Beispiel ihr Ehemann reagieren, wenn er erfuhr, was sie getan hatte? Und erst recht der Duke und die Duchess? Würde die ganze Hepburnfamilie sie nicht für das verurteilen, was sie getan hatte?
Sie wusste es nicht.
Als sie vor dem Haus hielten, stieg sie aus der Kutsche und nickte einer Frau zu, die gerade die Straße überquerte. Die ältere Frau war dürr und ging gebeugt, während ihre Hände einen Brotlaib umklammerten. Die Augen maßen Juliannes teures Kleid mit großem Interesse. Es war zwar nicht unbedingt eine zwielichtige Gegend und nicht gefährlicher als andere Viertel in London, aber es war auch nicht gerade die Nachbarschaft, in der man oft Damen in Seidenkleidern sah. Julianne wies den Kutscher an, hier auf sie zu warten, und versprach ihm, ihn für seine Geduld großzügig zu entlohnen.
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