Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
schönen Ball umzukleiden, eh?«
»Beantworten Sie bitte nur meine Frage.« Es gab einen guten Grund, warum sie das Geld bisher nicht ausgehändigt hatte.
»Die alte Frau von nebenan.« Leah wies mit dem Kopf nach links. »Gebt mir mein Geld und bringt sie dorthin, wenn Ihr geht. Sie kennt Mrs. Hopkins gut.«
Sie . Als habe das Kind keinen Namen. Julianne kniete sich hin und nahm zugleich das Geld aus ihrem Retikül und legte es auf den Boden. Als die andere sich herabbeugte und sich das Geld schnappte, ignorierte Julianne sie.
Wie lange halte ich das noch aus? ,fragte Julianne sich, während sie in Chloes Augen blickte. Mit jedem Besuch fiel es ihr schwerer, das Mädchen in diesem Haus zurückzulassen, und jetzt … Irgendwie machte ihr als nunmehr verheiratete Frau die Vorstellung, irgendwann eigene Kinder zu haben, schmerzlich bewusst, wie schlecht es um dieses Mädchen stand.
Es ist wie bei jeder anderen Lüge ,dachte Julianne. Sie verspürte eine Mischung aus Traurigkeit und Schuldgefühlen. Je länger man sie aufrechterhält, umso schwerer wird es, irgendwann die Wahrheit zu sagen. In diesem Fall war es zwar nicht allein ihre Lüge, doch sie war sich nicht sicher, ob andere das auch so sahen.
»Guten Tag, kleine Chloe«, sagte sie leise. Sie streckte die Hand aus und streichelte vorsichtig die verschmierte Wange des Kleinkinds. Ohne sich um den dreckigen Fußboden zu scheren, der ihr Musselinkleid beschmutzen könnte, setzte sich Julianne zu ihr. »Wollen wir wieder eine Burg bauen wie beim letzten Mal?«
Sie wurde mit einem winzigen Nicken und einem kleinen, fast unmerklichen Lächeln belohnt.
Er wusste nicht, ob er nun geschmeichelt oder beschämt sein sollte, dass das Gespräch sofort verstummte, als er den Salon betrat. Die spätnachmittägliche Sonne tauchte die mit leichter Hand arrangierten Sessel und kleinen Tische in warmes Licht. Es war die perfekte Kulisse für den nachmittäglichen Tee im Kreis der Familie. Seine Mutter, die gerade Tee einschenkte, schaute überrascht auf. Sein Vater wirkte ebenfalls erstaunt, und Julianne stellte den Teller mit einem halb verzehrten Eclair ab und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. In ihren Augen lag etwas Fragendes.
Es stimmte natürlich, dass er sich der Familie nicht oft bei den gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten anschloss. Schon gar nicht beim Tee – zumindest nicht seit seiner Rückkehr aus Spanien.
Er hatte keine Zeit, um sich gemütlich hinzusetzen und an einer Porzellantasse zu nippen, während er Höflichkeiten austauschte. Das war ein Luxus, den er sich nicht leisten konnte.
Zudem war es tatsächlich so, dass er nicht so genau wusste, warum er beschlossen hatte, sich ihnen anzuschließen. Aber seine Frau sah wirklich bezaubernd aus in dem blauen Tageskleid mit cremefarbener Spitze an den ellbogenlangen Ärmeln. Das Haar hatte sie zu einem schlichten Knoten hochgesteckt, und einzelne Strähnen ihres seidigen, dunklen Haars streiften ihren eleganten Hals.
»Rutgers hat mir mitgeteilt, ihr wärt alle hier. Ich hoffe, ich habe mich nicht verspätet«, sagte er höflich.
»Natürlich nicht«, antwortete seine Mutter. In ihrer Stimme schwang ein beredtes Beben mit. Sofort verspürte er ein nagendes Schuldbewusstsein, weil er noch nie vorher auf die Idee gekommen war. »Michael, wir sind hocherfreut . Ich habe Julianne gerade noch gesagt, dass wir dich viel zu selten sehen. Setz dich doch. Möchtest du Tee?«
Sie sahen ihn viel zu selten? Seine Mutter hatte wohl eher nach Entschuldigungen gesucht, weil er sich so verdächtig oft von seiner schönen Braut fernhielt. Er wusste wohl um die Hoffnung seiner Eltern, dass er ebenso wie Harry eine gewisse Begeisterung für die Verwaltung der Güter entwickelte. Was das betraf, wünschte er sich, er könnte tatsächlich dieses Interesse aufbringen. Aber je häufiger er sich mit Bankiers und Anwälten traf, die Hauptbücher durchging oder sich mit anderen derartigen Angelegenheiten befasste, umso mehr keimte in ihm der Verdacht, dass es sich um staubtrockene Materie handelte. Und wenn er ehrlich war, blieb ihm nur wenig Zeit dafür, da er noch andere Verpflichtungen hatte.
Doch an diesem Nachmittag hatte er zu seiner eigenen Überraschung festgestellt, dass er nicht länger warten wollte, ehe er seine Frau wiedersah. Er war nicht sicher, ob ihn dieser Gedanke faszinierte oder verstörte.
Er entschied sich für den Stuhl neben Juliannes. Seine Stiefel streiften ihre Röcke, als er die Beine
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