Eine heißblütige Lady: Roman (German Edition)
entschlüpfte Michael. Er studierte die Liste ein zweites Mal. Dann meinte er nachdenklich: »Ich bin über zwei Namen überrascht. Nur zwei. Was sagt uns das über unseren Beruf, Charles? Ich könnte von jedem der anderen fünf glauben, dass es sich bei ihnen um Rogets Informationsquelle handelt.«
»Ich werde dich jedenfalls nicht fragen, ob ich zu den zwei oder zu den fünf Personen gehöre. Nun, über unseren Beruf sagt es wohl vor allem dies aus: Wir behalten unsere Geheimnisse für uns und sind gut darin. Besonders, wenn wir Schuld auf uns laden. Wie sonst wäre es möglich, dass die anderen uns nicht verdächtigen?«
»Ich verstehe. Da liegt das Problem.« Michael tippte auf die Liste. »Was soll ich machen, wenn Rogets Komplize tatsächlich auf der Liste steht?«
»Lass ihn festnehmen. Ich warne dich aber: Dein Beweis muss hieb- und stichfest sein.«
»Theoretisch klingt es so, als wäre das möglich. Praktisch bin ich mir da nicht so sicher.«
»Das ist wohl die einzige Vorgehensweise, die dir offensteht, wenn du die Sache in Ordnung bringen willst. Das wissen wir beide.«
Der kleine Raum lag in einem abgelegenen Teil von Whitehall. Es war ein muffiges und dunkles Zimmer, in dem nur eine Lampe brannte. Die kühle Herbstluft verlieh dem quadratischen Zimmer etwas Nasskaltes und Ungemütliches. Dies war nicht Charles’ Büro – in dem Teil des Palasts war Michael bisher nie gewesen. Und vielleicht war es die jahrelange Geheimnistuerei, vielleicht auch seine Verantwortung als Marquess oder sein neuer Status als verheirateter Mann, aber diese Intrige übte nicht mehr denselben unwiderstehlichen Reiz aus wie früher.
Vielleicht war er einfach müde.
Vielleicht lag es aber auch an Julianne. Noch nie hatte er ernsthaft darüber nachgedacht, sich zur Ruhe zu setzen. Nicht das Leben eines Gentlemans, der die Fruchtfolge seiner Felder überwachte, Gott bewahre! Er wusste, sein Vater wünschte sich das. Nein, ihm schwebte eher ein ganz ruhiges Leben vor. Er müsste sich nicht länger um seine Sicherheit sorgen. Außerdem konnte er nicht leugnen, wie sehr er das idyllische Stelldichein im Garten genossen hatte. Daran könnte er sich gewöhnen … Das riesige herzogliche Anwesen auf dem Land verfügte über eine ausgedehnte Parkanlage mit so manchem versteckten Ort …
»Es ist möglich, dass ich mich zur Ruhe setze, sobald wir Roget festgesetzt haben.«
»Du wirst dich zu Tode langweilen.« Charles’ Stuhl quietschte, als er sein Gewicht verlagerte. »Und du bist ziemlich gut. England braucht dich.«
»Ich wollte die Verantwortung nie, aber ich bin jetzt der Erbe eines Herzogtums. Meine Familie braucht mich auch.«
»Wie ich sehe, scheint deine hübsche Frau einen gewissen Einfluss auf deine Prioritäten zu haben.«
Der schäbige Raum war auf einmal sehr beengend. »Julianne hat mit dieser Entscheidung nichts zu tun.«
Eine Lüge.
Charles durchschaute diese Lüge, und das, obwohl Michael sonst sehr gut darin war, ihn zu täuschen.
»Ich bin ein verheirateter Mann«, erwiderte Charles. »Und zwar glücklich verheiratet. Ich habe drei Kinder, und meine Frau ist die große Liebe meines Lebens. Ich verehre sie. Aber unglücklicherweise ist die Welt nicht perfekt. Wenn es dich und mich nicht gäbe, wäre England unter Umständen kein sicherer Ort, an dem ich meine Familie aufziehen wollte. Ich diene aus diesem ganz bestimmten Grund, und ich bin mir der Gefahren bewusst. Früher, als ich gerade frisch verheiratet war, wie du es jetzt bist, wurde mir bewusst, dass ich nicht nur mein eigenes Leben aufs Spiel setze, wenn ich meiner Arbeit nachgehe, sondern auch das Wohlergehen meiner Familie. Ich respektiere daher uneingeschränkt deine Bedenken.«
»Wenn ich mich belehren lassen wollte, würde mein Vater das zu gerne übernehmen.« Obwohl Michael versuchte, mit seiner humorvollen Bemerkung die Unterhaltung etwas aufzulockern, misslang der Versuch.
»Ich bin aber nicht dein Vater. Und ich will dich auch nicht belehren. Ich weise dich nur auf unumstößliche Fakten hin als ein Mann, der weiß, welcher Herausforderung du dich stellen musst.«
Das war nicht unbedingt der Rat, den er gerne hören wollte. »Meine Arbeit und mein Privatleben haben nichts miteinander zu tun.«
Charles lachte leise. »Ich denke, du solltest langsam mal zu der Erkenntnis gelangen, dass dein Privatleben alles beeinflussen wird, was du tust, mein Freund. Du hast jetzt eine Frau an deiner Seite, und schon bald wird es Kinder geben.
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