Eine Hexe mit Geschmack
ihn wegzuscheuchen.
»Ich sage immer noch, das ist eine
Falle«, grummelte die Ente, als sie uns ins Innere folgte.
Die Hütte war durch Dutzende von
Lampen hell erleuchtet, aber selbst für meine untoten Augen nicht zu sehr. Nie
hatte ich solch erlesene Wandteppiche und Vorleger gesehen. Andererseits hatte
ich auch nie zuvor überhaupt irgendwelche Wandteppiche oder Vorleger gesehen,
bis auf die abgenutzten, praktischen Teppiche von Fort Handfest. Ich hatte ein
Auge für Näherei, und ihre Qualität war offensichtlich. Wären sie echt und von
sterblichen Händen gefertigt gewesen, ihre Herstellung hätte Jahre gebraucht.
Der mit dem gestickten Bildnis des Seelenlosen Gustav, der groß
gewachsen und selbstgefällig
lächelnd dastand, war besonders beeindruckend. Er war so anschaulich, man hätte
ihn für das Original halten können. Seine Augen schienen uns zu verfolgen. Es
fügte der gemütlichen Atmosphäre einen Hauch Grauen hinzu. Ich bewunderte das
Stilbewusstsein des Zauberers.
Auf einem langen Tisch bei der
Feuerstelle war ein Bankett für uns aufgebaut worden. Es war ein großer Tisch, aber
es gab keinen leeren Fleck darauf. Der Seelenlose Gustav kannte seine Gäste. Es
war hauptsächlich Fleisch, hauptsächlich roh oder blutig. Als Dekoration gab es
eine kleine Schüssel Obst, und ein Laib frisches Brot wartete auf Wyst. Alles
Essen war echt, keine Illusion. Das war von durchdachter Wichtigkeit, denn ein
Phantom-Festmahl würde unseren Hunger stillen, ohne uns zu nähren. Wo der
Seelenlose Gustav in seinem Phantomreich all die Realität hernahm, war ein
Rätsel, über das ich aber nicht weiter nachdachte.
Gwurm und Molch wärmten sich an
der Feuerstelle. Ich hielt mich davon fern und genoss die Restkälte des Abends.
Der Diener deutete auf eine Treppe. »Ihr findet eure Unterkünfte für die Nacht
im Obergeschoss. Ich bin sicher, sie werden nach eurem Geschmack sein, aber
falls ihr doch etwas brauchen solltet, genügt es, wenn ihr in die Hände
klatscht, und ich werde euch zur Verfügung stehen. Wenn ihr jetzt nichts weiter
benötigt...«
»Nein. Wir haben, was wir
brauchen.« Ich bemerkte einen riesenhaften Kristallleuchter über unseren
Köpfen. Er fing jeden Strahl Kerzenlicht ein und reflektierte ihn in einem
Wasserfall von Farben.
Der Diener empfahl sich, als Wyst
aus dem Stall zurückkehrte. Er setzte sich neben das Brot, verschränkte die
Arme und studierte den Laib.
Gwurm stupste das gebratene
Wildschwein mit den Fingern an, die er dann ableckte. Molch beäugte den Troll.
»Und? Es ist giftig, oder? Es muss
giftig sein.«
Gwurm nahm eine Rippe und saugte
das Fleisch ab. Er bewegte es im Mund hin und her und stocherte mit der Zunge
darin herum, während er kaute. Er zuckte die Achseln, schluckte und verschlang
den Knochen. »Scheint in Ordnung zu sein.« Er setzte sich und riss dem Schwein
die Schnauze ab. »Hervorragend, genau die richtige Konsistenz.«
Molch wandte dem Tisch den Rücken
zu. »Ich werde kein Stück davon essen. Wenn es nicht vergiftet ist, wird es
etwas noch Schlimmeres sein. Wahrscheinlich werden eure Eingeweide verrotten.«
»Manche Dinge sind das Risiko
wert.« Gwurm verschluckte einen saftigen roten Apfel und ein rohes Kaninchen in
einem Bissen. Er musste die Kombination gemocht haben, denn als Nächstes
probierte er eine Orange und ein Huhn. Es wurde mit einem zufriedenen Grinsen
quittiert.
»Du wirst bereuen, dass du das
gegessen hast«, murmelte Molch.
»Wahrscheinlich«, sagte Gwurm.
»Von Wildschwein bekomme ich immer Sodbrennen. Reich mir doch bitte mal ein
Stück von der Gans da herüber, sei so nett.«
Molch lebte auf. »Sagtest du
Gans?« Er sprang auf den Tisch und leckte an dem saftigen Vogel.
»Du isst Gans?« Gwurm streckte die
Zunge heraus.
»Das ist mein zweitliebstes
Gericht.«
»Aber du bist eine Ente!«
Molch schloss die Augen und
inhalierte das verführerische Aroma der Gans. »Eine fleischfressende Ente.«
»Ja, aber, na ja, es scheint mir
... nicht richtig.«
»Vögel essen täglich Vögel.«
»Große Vögel fressen kleine
Vögel«, sagte Gwurm. »Diese Gans ist doppelt so groß wie du.«
»Und wunderbar gebraten.« Molch
schmatzte. Dämonen sind von Natur aus misstrauisch, aber genauso leicht sind
sie in Versuchung zu führen. Er stand unschlüssig über die Gans gebeugt. Ich
tat ihm einen Gefallen und half ihm, es sich zu überlegen. Es war sowieso eine
unvermeidliche Entscheidung.
»Rieche ich hier Ente?«, fragte
ich.
»Ente?
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