Eine Hexe mit Geschmack
die Dunkelheit zu genießen.
Sie schien immer schneller zu
schwinden, wenn ich ging. Wenn ich aber da blieb, konnte ich mir ausmalen, sie
dauere für immer an.
Gwurm streckte sich. Die Lücken in
seinen Gelenken waren nur leicht zu sehen. »Auseinanderzufallen ermüdet mich
immer. Ich glaube, ich schlaf mal 'ne Runde. Gute Nacht.«
Der Troll krümmte sich zu einer
festen Kugel überkreuzter Gliedmaßen und beugte den Kopf. Es sah zwar unbequem
aus, aber er schlief bereits. Er schnarchte leise.
»Warum hast du ihn gefüttert?«,
fragte Molch.
»Er sah hungrig aus, und es war
ein Gebot der Höflichkeit.«
»Aber die Herrin hat dich davor
gewarnt. Jetzt werden wir ihn nie wieder los.«
»Wer hat gesagt, dass ich ihn
loswerden will?«
Molchs Federn sträubten sich. »Wie
bitte?«
»Er sah aus, als könne er einen
Freund gebrauchen. Vor allem, seit du seinen letzten getötet hast.«
»Das kann nicht dein Ernst sein!«
»Warum nicht?«
»Bist du blind Er ist ein Troll!«
»Und ich bin eine Hexe. Und du
bist eine Ente.«
»Ja, ja, aber...«
»Molch, bist du eifersüchtig?«
Seine Federn sträubten sich
erneut.
Ich streichelte die braunen Federn
an seinem Rücken. »Du musst dir keine Sorgen machen.«
»Ich mache mir keine Sorgen. Und
ich bin auch nicht eifersüchtig.«
»Nein, nein. Natürlich nicht.«
Molch rollte sich auf der Stelle
zusammen und legte den Kopf auf mein Bein. »Eifersüchtig. Schon allein der
Gedanke ist absurd. Obwohl mir nicht klar ist, was du noch mit einem Troll willst,
wenn du schon mit einem vielseitigen Vertrauten gesegnet bist.«
Er schlief ein, ich aber war nicht
müde. Das Feuer erstarb, und ich saß in der kühlen Dunkelheit, Molch an mich
geschmiegt - und mein neuer Troll schlummerte mir gegenüber.
FÜNF
Ich hatte also einem Wald geholfen
und einen Troll gewonnen. Kleine Taten vielleicht, aber gar nicht übel für
meinen ersten Tag als eigenständige Hexe. Die Welt, so wenig ich davon gesehen
hatte, war gar kein so fürchterlicher Ort, und als die Morgendämmerung schließlich
anbrach, stellte ich fest, dass ich mich schon auf den zweiten Tag freute.
Gwurm sprach zwar nicht viel, aber
ich hatte auch vorher nicht wirklich jemanden gehabt, mit dem ich reden konnte.
Ich war immer die Zuhörerin der Grausigen Edna gewesen. Jetzt, wo ich
schließlich einen eigenen Zuhörer hatte, entdeckte ich, dass ich viel zu sagen
hatte. Ich brauchte nicht lange, um ihm die Einzelheiten meines Lebens zu
erzählen. Ich sprach vom Fluch des Fiesen Larry, dem Keller meiner Eltern,
meiner Unterweisung durch die Grausige Edna und ihrem Mord durch die Hände von
Männern, die überhaupt keine Männer gewesen waren. Die Geschichte sprudelte in
einem steten Fluss von meinen Lippen, und obwohl ich fehlendes Interesse von
Gwurms Seite spürte, war er ein höflicher Zuhörer.
Der Troll nahm sein Ohr ab und
säuberte es von etwas Wachs. »Wenn ich richtig verstehe, bist du alterslos,
praktisch unverwundbar und für immer schön. Aber du musst rohes Fleisch essen
und magst die Sonne nicht.« Er blies in das Ohr hinein und schabte etwas Kruste
vom Ohrläppchen. »Ich möchte deine Situation ja nicht verharmlosen, doch es
scheint mir kein besonders schlimmer Fluch zu sein.«
»Ich will aber nicht schön sein.«
»Und ich will nicht verschmäht und
gefürchtet werden.«
Molch ergriff das Wort. »Und ich
wäre lieber keine Ente.«
»Genau. Uns allen wurde ein Los
auferlegt, das wir lieber nicht tragen wollen. Nicht, dass ich mich beschweren
möchte. Es gibt vieles, was ich daran zu schätzen weiß, ein Troll zu sein.«
»Es ist nichts Gutes daran, eine
Ente zu sein.«
»Es muss doch nett sein, fliegen
zu können.«
»Ich kann nicht fliegen«, murmelte
Molch.
»Oh. Schwimmen?«
»Ich mag kein tiefes Wasser.«
»Tut mir leid, das zu hören.« Der
Troll steckte das Ohr zurück an seinen Platz. »Auf jeden Fall ist keiner von
uns wirklich Herr seines Schicksals. Zumindest nicht über den Beginn. Und mir
scheint, ich wurde unter einem schlimmeren Fluch als deinem geboren.«
»Vielleicht«, stimmte ich zu.
Nicht lange, nachdem ich unter die
Aufsicht der Grausigen Edna gelangt war, hatte ich dieselbe Feststellung
gemacht. Meine Herrin hatte mich schnell eines Besseren belehrt.
»Denk immer daran, Mädchen, die
Magie ist wissend. Alle Dinge existieren auf eine bestimmte Art und Weise.
Selbst solche Dinge, die wir nicht fassen können, wie Wind und Jahreszeiten
oder Schwerkraft. Aber nichts
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