Eine Hexe mit Geschmack
sie
allein weiter.
»Du solltest sie töten, Herrin!«
»Vielleicht, aber ich glaube
nicht, dass ich es tun werde.«
Molch zog sich wieder in seine
Ecke zurück, um zu schmollen. Mein Besen fegte mit übermütiger Freude.
So begann meine Freundschaft mit
Morgenröte, der Prostituierten. Ungefähr alle drei Tage kam sie in mein Zelt.
Zuerst, um die Salbe des Hauptmanns abzuholen, dann einfach, um zu plaudern.
Sie erinnerte mich auf verschiedene Arten an die Grausige Edna. Sie war
aufmerksam, auf ruhige Art weise und mit einer Sicht auf die Welt gesegnet, die
weder zuversichtlich noch zynisch war, sondern irgendwo dazwischen. Ich mochte
sie sehr. Genauso wie mein Besen. Und Gwurm. Und Molch auch, obwohl er nie
lange genug mit dem Schmollen aufhörte, um es zuzugeben. Er begann sogar
irgendwann, vor ihr zu sprechen, und eines Abends fand er sich in einer
altbekannten Diskussion wieder.
»Und was glaubst du, wie viele
Meilen ist ein aktiver Vulkan wert?«, fragte sie.
»Es ist keine technische Frage.
Das Schicksal führt keine Strichliste. Zumindest keine genaue.«
»Natürlich nicht. Aber du musst
doch eine ungefähre Zahl im Kopf haben.«
»Darauf will ich nicht hinaus.«
»Siebzig Meilen?«
Molch warf die Flügel in die Höhe.
»Warum mache ich mir überhaupt die Mühe?«
»Gute Frage«, antwortete ich,
während ich mich auf die Bank neben Morgenröte setzte.
Er spazierte zurück ins Zelt. Ich
reichte Morgenröte eine Tasse heißen Tee, den ich extra für sie aufgebrüht
hatte. Ich selbst trank keinen Tee. Er vertrug sich nicht mit meiner Verdauung.
»Du solltest ihn nicht so
aufziehen«, sagte ich.
»Warum nicht? Gwurm tut es auch.
Du auch. Sogar dein Besen tut es. Es ist nur gerecht, wenn ich auch mal darf.«
»Stimmt.«
Sie schlürfte ihren Tee. »Hast du
mal über deinen Namen nachgedacht?«
»Ja. Ich habe beschlossen, dass
ich keinen brauche.«
Wir hatten diese Diskussion schon
mehrmals geführt. Meine Eltern hatten es versäumt, ihrer mit einem Fluch
belegten Tochter einen Namen zu geben, und für die Grausige Edna war ich immer
»Liebes«, »Kind« oder »Mädchen« gewesen. Die Leute von Fort Handfest brachten
»altes Weib« oder »alte Hexe« zustande. Es gab nie Missverständnisse, und ich
zog es vor, keinen richtigen Namen zu haben. Das schien mir sehr hexenhaft.
»Jeder braucht einen Namen.«
»Nicht jeder.«
»Deine Ente hat einen Namen. Dein
Troll hat einen Namen.«
»Mein Besen nicht.«
»Doch, das hat sie. Stimmt's,
Penelope?« Mein Besen schwebte herüber und lehnte sich an Morgenrötes Schulter.
»Ich weiß, es ist kein besonders guter Name für einen Hexenbesen, aber sie hat
ihn selbst ausgesucht.«
Ich hatte keine Einwände dagegen,
meinem Besen einen Namen zu geben, da mir dies ebenfalls sehr hexenhaft
erschien.
Zwei Soldaten näherten sich meinem
Zelt. Ich konnte an dem verlegenen Glitzern in den Augen des Jüngeren sehen,
warum sie hier waren. Mein innerer Ghoul fand wenig Appetitliches an dem alten
Mann, aber über den Jungen flüsterte er: »Noch nicht ganz reif, aber in einem
oder zwei Jahren ein schmackhaftes Festmahl.«
Der ältere Soldat schob seinen
Schützling auf Morgenröte zu. Der Junge konnte ihr nicht in die Augen sehen. Er
starrte auf seine Stiefel und stammelte.
Morgenröte lächelte auf ihre
geduldige, wissende Art. Genau die Art, wie die Grausige Edna gelächelt hätte,
wäre sie eine Prostituierte gewesen.
Der ältere Soldat kicherte.
»Vertis wüsste gern, ob er vielleicht das Vergnügen deiner Gesellschaft haben
dürfte, Fräulein.«
»Ist das wahr, Vertis?«
Der Jüngling nickte.
»Er spart seit zwei Monaten. Die
anderen Männer sagten, er solle sich eine billigere Frau suchen, aber er hat es
sich nunmal in den Kopf gesetzt.«
»So ein Kompliment von einem
schönen, strammen Kerl. Ich fühle mich geschmeichelt!«
Morgenröte ließ ihre Wangen sanft
erröten. Sie konnte ganz nach ihrem Willen erröten, auf eine Art, die ich mit
Magie hätte kopieren können. Nur, dass ihres eben keine banale Magie war,
sondern natürliches Talent und Übung.
Vertis kicherte wie ein Kind.
Sie nahm sein Geld und sagte ihm,
er solle sie in zehn Minuten in ihrer Hütte erwarten. Der ältere Soldat dankte
ihr, und sie gingen.
Morgenröte klimperte mit den
Münzen in ihren Händen.
»Wie ist es?«, fragte ich und
überraschte damit sogar mich selbst. Ich hatte schon einige Zeit über diese
Frage nachgedacht.
»Es kommt alles darauf an. Wenn es
richtig
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