Eine hinreißend widerspenstige Lady
Daphne sich auf. „Er ist nicht wertvoll“, sagte sie.
„Davon wissen nur wir beide“, erwiderte er, „und ...“
„Noxley kennt mein Geheimnis“, unterbrach sie ihn.
Es folgte eine kurze, angespannte Stille. „Ja, natürlich“, meinte Rupert dann. „Ich hätte mir denken können, dass das alles nicht so einfach werden würde.“
„Ich habe es ihm gesagt. Ich musste es ihm sagen. Miles konnte die Täuschung nicht länger aufrechterhalten, seit er gezwungen ist tagein, tagaus mit Noxley zuzubringen. Er hat zu trinken angefangen, um die dummen Fragen nicht beantworten zu müssen, doch er verträgt nicht viel.“
„Verstehe“, meinte er. „Nur lässt sich daran leider nichts ändern. Wir werden uns der Sache annehmen, doch bis dahin ..."
„Miles hält Noxley für verrückt“, fuhr Daphne fort. „Ich bin mir dessen nicht sicher, aber dennoch glaube ich fest, dass er Miles auf keinen Fall etwas zuleide tun wird. Noxley möchte gern edel und gut wirken.“ Ein Heuchler, wie Virgil. „Die Drecksarbeit übernehmen andere für ihn: Foltern,Verstümmeln, Morden.“
„Daphne ..."
„Schsch.“ Sie legte den Finger an die Lippen.
Geräusche. Schritte. Stimmen. Draußen vor der Tür.
Er wandte sich um, lauschte.
Sie drängte ihn zum Fenster. „Geh!“
„Nicht ohne dich.“
Auch sie wollte nicht, dass er ohne sie ginge, aber ihnen blieb keine Wahl. Und keine Zeit, darüber zu streiten.
Sie hieb ihm mit der flachen Hand auf die Brust. „Du lebst“, sagte sie. „Nun sieh zu, dass du auch am Leben bleibst, sonst werde ich nie von hier fortkommen. Und jetzt geh.“
Die Geräusche wurden vernehmlicher.
Daphne eilte zurück zum Diwan. Geh, flehte sie ihn im Stillen an. Bitte geh endlich.
Sie spürte mehr, als dass sie hörte, wie er sie verließ.
Dann ein rasches, ungeduldiges Klopfen an der Tür. Die Stimme einer Dienerin, die leise fragte, ob alles in Ordnung sei bei der Dame?
Kaum hatte Daphne sich hingelegt und die dünne Decke über sich gezogen, da flog auch schon die Tür auf.
Erschrocken fuhr sie auf und sah sich um, als wäre sie eben aus dem Schlaf gerissen worden.
Eine Dienerin stand in der Tür, in der Hand eine Öllampe. Hinter ihr lauerte eine große, massige Gestalt.
„Die Wachen hatten etwas gehört“, sagte die Dienerin und hielt die Lampe hoch. „Stimmen.“
„Stimmen?“, fragte Daphne entgeistert. „Da muss ich wohl im Schlaf geredet haben. Ich hatte einen sehr seltsamen Traum.“
Freitag, 4. Mai
Am Freitag brach Daphne abermals mit Miles und Noxley nach Karnak auf. Es war erstaunlich, wie herrlich ihr die Tempelanlage auf einmal schien - nun, da ihr die düstere Last vom Herzen genommen war. Ihr Notizbuch war bald gefüllt, und Lord Noxley schickte einen Diener nach Luxor, um ein neues zu holen. Den Nachmittag verbrachte sie größtenteils in der sogenannten Königskammer. Unter den in den Stein gehauenen Bildnissen der Pharaonen standen in Hieroglyphen ihre Namen, die sie sorgsam in ihr Notizbuch übertrug.
„Und Sie werden sich auch gewiss nicht langweilen, wenn wir morgen noch einmal herkommen?“, fragte Noxley, als sie sich bei Sonnenuntergang auf den Rückweg nach Luxor machten.
„Ich könnte einen ganzen Monat hier zubringen, ohne mich zu langweilen“, erwiderte sie. „Aber wenn Sie andere Pläne haben, genügt ein weiterer Tag vollauf.“
„Wir können jederzeit wiederkommen“, versicherte ihr Noxley. „Doch ich dachte, dass wir nächste Woche das Westufer besichtigen könnten. Es dürfte für Ihre Studien noch interessanter sein, Mrs. Pembroke. Dort befinden sich nämlich nicht nur Tempel und Paläste, sondern auch die Gräber der Beamten, die Ihnen einen wahren Fundus an Papyri bieten werden.“
Daraufhin begann er sich über die Bewohner des Westufers auszulassen, die Qurnaner, die die Gräber plünderten, Mumien zerflederten und kunstvolle Holzsarkophage verfeuerten.
„Diese Diebesbande hätte schon lange ausgemerzt gehört“, fuhr er ungehalten fort, „doch die türkischen Behörden rühren keinen Finger. Sie werden nur dann munter, wenn es gilt, Steuern und Bestechungsgelder von der Landbevölkerung einzutreiben. Barbaren, die die Bedeutung alter Kulturen nicht zu würdigen wissen. Lieber lassen sie die antiken Tempel abtragen, um aus den Steinen Fabriken zu bauen.“
„So sehr unterscheiden wir uns gar nicht von ihnen“, wandte Daphne ein. „Plündern und zerstören wir denn etwa nicht, selbst wenn wir uns für aufgeklärte
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