Eine hinreißend widerspenstige Lady
die Füße und den Berg hinauf gezerrt zu werden verschlug Daphne vollends den Atem - und die Sprache, weshalb sie auch nichts erwiderte. Rupert hätte ihr wohl ohnehin nicht zugehört, und das war auch gar nicht nötig, hatte er die Lage doch ganz richtig erkannt, wie auch sie nun feststellte.
Ein kurzer Blick zurück zeigte ihr, warum er es so eilig hatte. Ihr Unterschlupf war fast zugeschüttet, und die nächste Sandhose kam geradewegs auf sie zugerast.
Zum Glück waren schmale Pfade in den Hang geschlagen oder ausgetreten worden, um zu den Gräbern zu gelangen. Auf Mr. Carsington gestützt, kam Daphne ganz gut voran. Der Esel trottete brav neben ihnen her.
Sie fragte sich, was wohl aus ihrem Reittier geworden war und ob das arme Ding überhaupt noch lebte. Ohne große Hoffnung hielt sie Ausschau, doch die Sicht war dürftig. Die Sonne schien entweder glutrot durch einen Sandschleier hindurch, oder aber sie war ganz verschwunden. Sand drang ihr in Augen, Ohren, Nase und Mund, sodass sie kaum atmen konnte. Doch Daphne wusste, dass solch ein Wüstensturm noch schlimmeres Ungemach bringen konnte.
Sie zwang sich, sich nicht immer wieder nach dem gelben Wirbelsturm umzudrehen, der unaufhaltsam auf sie zuraste. Trotzdem musste sie immer wieder daran denken, wie sie von ihrem Esel gefallen war und die riesige Sandwelle auf sich zukommen sah. Einen Augenblick lang hatte sie sich, geblendet vom Sand, hilflos und verlassen gefühlt. Aber nur für einen Augenblick, denn gleich darauf war Mr. Carsington an ihrer Seite gewesen.
Solange er bei ihr war, würde sie alles durchstehen. Sie war ihm durch die Finsternis der Pyramiden gefolgt, vorbei an den beiden gemeuchelten Männern. Sie war verhaftet und wie eine gemeine Verbrecherin ins Gefängnis geworfen worden. Sie hatte sich gegen heimtückische Mörder zur Wehr gesetzt, hatte dem sterbenden Teppichhändler beigestanden, während ihm der letzte Tropfen Blut aus der durchtrennten Kehle rann. Sie hatte schießen gelernt, obwohl Feuerwaffen sie bislang immer in Angst und Schrecken versetzt hatten.
Wie hatte sie all das nur geschafft? Sie wusste es nicht. Vielleicht kannte sie sich ja selbst kaum. Konnte es sein, dass Mr. Carsington sie womöglich besser kannte?
Und sie würde auch das hier überstehen, sagte sie sich. Sie musste sich einfach nur an ihn halten und zusehen, dass ihm nichts geschah, dann wäre auch diese Gefahr bald schon ausgestanden.
Er zog sie mit sich in das erstbeste Felsengrab. Der Esel stemmte sich störrisch, riss sich los und blieb laut iahend vor der Höhle stehen.
„Hermione, zier dich nicht so“, fuhr Mr. Carsington den Esel an - der natürlich eine Eselin war.
Das Tier stieß einen heiseren Schrei aus und stampfte stur auf den Boden.
„Hermione, muss ich dich holen kommen?“
„Herrgottnochmal“, meinte Daphne ungeduldig. „Das ist ein ägyptischer Esel. Ta’ala heneh“, kommandierte sie das verstörte Tier herbei. „ Ta’ala. “
Die Eselin schnaubte bloß und warf den Kopf hin und her.
„Ta’ala“, sagte Mr. Carsington.
Da kam sie hereingetrottet und schmiegte ihr Maul an seinen Arm.
Aber natürlich.
„Sie hat Angst“, meinte Mr. Carsington und streichelte ihr die Nüstern. „Wahrscheinlich wegen des Geruchs.“
Ein Geruch, mit dem Daphne mittlerweile recht vertraut war: der Geruch des Todes. Oder vielmehr der Geruch von Mumien, jenem jahrtausendealten, gesalbten, geschrumpften und versteinerten Geruch Ägyptens.
„Besser als der Sandsturm“, befand Daphne. „Wollen wir nicht reingehen?“ Nun, da sie nicht mehr in unmittelbarer Gefahr war, fing sie vor Erschöpfung an zu zittern. „Ich würde mich gern hinsetzen. Aber außer Reichweite von Wind und Sand.“ Ohne auf ihn zu warten, ging sie den Korridor hinab.
Er war breiter als die Eingänge zu den Pyramiden. An den Wänden meinte sie Reliefs auszumachen, und auch einzelne Hieroglyphenreihen, doch bald schon war es zu dunkel, als dass sie noch viel hätte erkennen können. Langsam tastete sie sich an der Wand weiter und fühlte den Boden mit der Fußspitze ab, sorgsam darauf bedacht, nicht zu stolpern.
„Das reicht, Mrs. Pembroke“, hörte sie seine tiefe Stimme hinter sich. „So weit können Sand und Wind nicht mehr hereinkommen, und Hermione zittert jetzt schon wie Espenlaub. Lassen Sie uns hier den Sturm in Ruhe abwarten, einverstanden?“
Ruhe. O ja.
Rupert musste erst wieder zu Atem kommen und sich sammeln. Wie leicht er Mrs. Pembroke inmitten des
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