Eine hinreißende Schwindlerin
Sie hätte seinem Blick standhalten und ihn voller Verheißungen erwidern müssen. Sie hätte die Dunkelheit in der Kutsche ausnutzen und seinen Fuß mit ihrem berühren müssen. Gab es schließlich einen besseren Weg, ihr Ziel zu erreichen und Gareths Urteilsvermögen zu trüben?
Er hatte sich darauf vorbereitet, ihren Schmeicheleien heldenhaft zu widerstehen – vorerst jedenfalls.
Doch Madame Esmeralda ignorierte ihn, so gut sie das auf die geringe Distanz hin vermochte, und unterhielt sich mit Ned. Und Gareth wusste nicht, was ihn mehr ärgerte – dass er sich wünschte, sie würde versuchen, sein Urteilsvermögen zu trüben, oder dass es auch ohne ihr Zutun schon längst erheblich getrübt war.
Ihr Verhalten stimmte nicht. Nichts an ihr stimmte.
„Ned“, sagte sie gerade, „vergessen Sie nicht, was Sie heute Abend tun müssen.“
Ned hob sichtlich aufgeregt die Hände. „Wir werden Blakelys zukünftige Frau kennenlernen. Wie soll ich sie begrüßen?“
Gareth verzog das Gesicht. Sein Cousin neigte von Zeit zu Zeit zu übertriebenem Überschwang. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was für peinliche Situationen der junge Mann eventuell damit heraufbeschwören würde.
Madame Esmeralda konnte das offensichtlich auch. Sie schüttelte den Kopf. „Ned! Verhalten Sie sich respektvoll und zurückhaltend. Denken Sie daran, dass auch Lord Blakely sie erst dann begrüßen wird, wenn er bereit ist, ihr den Elefanten zu überreichen.“
„Also gut.“ Ned lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber nur, weil Sie das so wollen.“
Gareth war es nicht gewohnt, ignoriert zu werden. Schon gar nicht von Frauen, die er geküsst hatte. Er war die Sache jetzt schon leid. „Madame Esmeralda?“
Sie sah ihn widerstrebend an.
„Nachdem ich die dritte Aufgabe ausgeführt habe, wie lange wird es Ihrer Prophezeiung nach dauern, bis ich mich verliebe und einen Heiratsantrag mache?“
„Das wird innerhalb eines Monats geschehen.“ In ihrer Stimme schwang ein Hauch Unsicherheit mit.
„Und das ist alles, was ich tun muss? Die drei Aufgaben erledigen, einen Monat abwarten, und wenn ich dann das Mädchen nicht heirate, weiß Ned, dass Sie eine Betrügerin sind?“ Er hielt den Atem an. Wenn sie zustimmte, hatte er genau das erreicht, was er wollte. Überprüfbare Vorgehensweisen. Messbare Ergebnisse. Und das Wichtigste – einen entschiedenen Schlusspunkt unter der Geschichte, der ihn für die erlittenen Demütigungen wegen ihrer Aufgaben entschädigte.
„Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass Sie sich von den Geistern führen lassen und das Mädchen heiraten.“
Gareth schnaubte.
Ned trat gegen Gareths Lederstiefel. „Na, dann beeil dich und fang zu schnitzen an!“
Da war noch eine dritte Anomalie, die es zu bedenken galt. Ned tat alles, was Madame Esmeralda ihm sagte. Wenn sie ihn gebeten hätte, ihr zehntausend Pfund auszuhändigen und dann mit bleibeschwerten Schuhen von der London Bridge zu springen – Ned wäre in kürzester Zeit Fischfutter am Boden der Themse geworden. Für eine Betrügerin erster Klasse war sie erbärmlich schlecht im Geldeinheimsen.
„Mach dir darüber keine Gedanken, Ned“, meinte Gareth. „Ich brauche nicht mit dem Schnitzen anzufangen.“
„Aber die Aufgabe …“, wandte Ned ein.
„Ich brauche deswegen nicht anzufangen, weil ich längst fertig bin. Ich dachte, ich bringe das Ganze lieber so schnell wie möglich hinter mich.“ Gareth fasste in seine Tasche und zog ein Stück Ebenholz hervor. Das vorbeiziehende Licht einer Straßenlaterne ließ die Oberfläche schimmern.
Madame Esmeralda streckte die Hand aus und Gareth reichte ihr den Gegenstand. Sie hielt ihn sich vor das Gesicht, kniff die Augen zusammen und drehte das unförmige Gebilde hin und her. Das Ebenholzstück war fast kugelrund und voller Riefen und Rillen, die das Schnitzmesser hinterlassen hatte. Madame Esmeralda verzog den Mund, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
Eine Erklärung schien angebracht. Gareth zeigte auf den Klumpen. „Ein Elefant.“
„Meine Güte.“ Sie drehte die Figur um ihre eigene Achse. „Hätten Sie ihn nicht vielleicht etwas … elefantenähnlicher machen können?“
Gareth schätzte es gar nicht, auf irgendeinem Gebiet für unzulänglich gehalten zu werden. Die Tatsache, dass er nicht schnitzen konnte, hätte ihn eigentlich gar nicht ärgern sollen. Schließlich konnte es ihm gleich sein, was sie von seinen Fähigkeiten in dieser
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