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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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ihm zu hacken. Hier gab es Spinnen – riesige, furchteinflößende Biester, die auf Nasenhöhe über jedem Pfad lauerten – und Insekten, die sich anfühlten, als wären sie allesamt mit glühend heißen Nadeln bewaffnet. Irgendwelche Viecher hatten ihm in die Ohren gebissen, und andere waren ihm die Hosenbeine hinaufgekrabbelt oder einfach über ihn hinweggetrampelt. Mitten in der Nacht hatte sich eine hinterhältige Bestie von den Bäumen auf ihn gestürzt und wollte ihm den Kopf abschrauben. Sobald er wieder etwas sehen konnte, würde er es darauf ankommen lassen und zum Schiff laufen und schnell von hier verschwinden. Alles in allem, dachte er, während er ein Getier mit unverhältnismäßig vielen Beinen aus seinem Ohr zog, konnte es wohl kaum noch schlechter kommen.
    Dann hörte er im Baum über sich ein Rascheln und blickte genau in dem Moment nach oben, als sich ein wohlgenährter Großvatervogel in Vorbereitung aufs Frühstück erbrach, und Arthur Septimus Polegrave musste sich eingestehen, dass er mit der Einschätzung seiner Lage wohl ein wenig zu voreilig gewesen war.
    Etwas später an diesem Morgen marschierte Daphne mit dem Logbuch der
Sweet Judy
in der Hand zu Pilu und sagte: »Ich will einen fairen Prozess.«
    »Das ist gut«, sagte Pilu. »Wir wollen uns die neue Höhle ansehen. Kommst du mit?« Die meisten Inselbewohner hatten sich hinter ihm versammelt, denn die Nachricht von den Göttern hatte sich schnell herumgesprochen.
    »Du weißt gar nicht, was ein Prozess ist, nicht wahr?«
    »Äh, nein«, sagte Pilu.
    »Das ist etwas, wo man entscheidet, ob jemand ein Verbrechen begangen hat und bestraft werden sollte.«
    »Du hast den Hosenmann doch schon bestraft«, sagte Pilu fröhlich. »Er hat Ataba getötet. Er war ein Pirat!«
    »Äh, ja… aber die Frage ist, ob ich es hätte tun dürfen. Schließlich hatte ich keine richterliche Befugnis, ihn zu töten.«
    Milo, der hinter seinem Bruder stand, beugte sich herab und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
    »Ach ja«, sagte Pilu, »mein Bruder erinnert mich gerade an die Zeit, als wir in Port Mercia waren und ein Marinemann beim Diebstahl erwischt wurde. Sie haben ihn an einen Mast gefesselt und ihn mit einem Lederding geschlagen. Geht es darum? Ich glaube, Leder haben wir hier irgendwo.«
    Daphne erschauderte. »Äh… nein danke. Aber, äh, gibt es auf euren Inseln denn überhaupt keine Verbrechen?«
    Es dauerte eine Weile, bis Pilus Kopf diese Vorstellung verarbeitet hatte. »Ah, jetzt weiß ich, was du meinst«, sagte er schließlich. »Du möchtest, dass wir dir sagen, dass du nichts Böses getan hast, richtig?«
    »Das Geistermädchen will sagen, dass es Regeln geben muss und gute Gründe«, sagte Mau, der direkt hinter Daphne stand.
    Sie hatte ihn nicht einmal bemerkt.
    »Ja, aber ihr sollt nicht sagen, dass ich etwas Gutes getan habe, nur weil ihr mich mögt«, fügte sie hinzu.
    »Ihn mochten wir jedenfalls nicht«, sagte Pilu. »Er hat Ataba getötet!«
    »Ich glaube, ich weiß, was sie meint«, sagte Mau. »Wir sollten es versuchen. Es klingt… interessant.«
    Und so hielt die Nation ihre erste Gerichtsverhandlung ab. Es gab keine Aufteilung in Richter und Geschworene. Alle saßen im Kreis, auch die Kinder. Und Mau saß ebenfalls im Kreis.
    Keiner war so wichtig wie er… dennoch saß Mau genau wie jeder andere im Kreis.
    Alle sollten sich ein Urteil bilden… und Mau saß mit im Kreis.
    Er war nicht groß, er war nicht einmal tätowiert, er brüllte keine Befehle – er war jedoch ein klein wenig anwesender als alle anderen. Und er hatte die Mütze. Er war der Captain.
    Daphne hatte mitgehört, wie ein paar Neuankömmlinge über ihn geredet hatten. Sie benutzten eine Art Code, nannten ihn den »armen Jungen«, und sie sprachen darüber, wie schwer es für ihn sein musste, doch irgendwo zwischen all den Worten schwang unausgesprochen, aber unüberhörbar die Andeutung mit, dass er noch nicht alt genug war, um Häuptling zu sein.
    Und ungefähr an dieser Stelle tauchten dann entweder Milo oder Cahle auf, wie eine Sonnenfinsternis, und das Gespräch drehte sich plötzlich nur noch um Babys oder den Fischfang.
    Und jeden Tag wurde Mau älter und war immer noch Häuptling.
    Pilu leitete die Gerichtsverhandlung. Für eine solche Aufgabe war er wie geschaffen. Trotzdem brauchte er etwas Unterstützung…
    »Wir müssen einen Ankläger ernennen«, erklärte Daphne.
    »Das ist jemand, der meint, ich hätte falsch gehandelt, und einen Verteidiger,

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