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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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der findet, dass ich im Recht bin.«
    »Dann bin ich dein Verteidiger«, sagte Pilu unbeschwert.
    »Und der Ankläger?«, fragte Daphne. »Das bist dann du.«
    »Ich? Dann müsste ich ja jemand anders als ich selbst sein!«
    »Aber jeder weiß doch, dass dieser Mann Ataba getötet hat«, sagte Pilu. »Wir haben es alle gesehen!«
    »Wurde denn auf diesen Inseln noch nie jemand von jemandem getötet?«
    »Manchmal schon – nach zu viel Bier, bei einem Streit um eine Frau – solche Sachen. Sehr traurig. Es gibt da eine Geschichte, eine sehr alte Geschichte über zwei Brüder, die sich gestritten haben. Es kam zum Kampf, und einer tötete den anderen, aber es hätte genauso gut andersherum sein können. Der Mörder flüchtete, weil er die Strafe kannte, und hat sich selbst dazu verurteilt.«
    »War es eine grausame Strafe?«
    »Man hätte ihn von den Inseln verbannt, weit weg von seinem Volk und seiner Familie. Er hätte nie mehr in den Fußstapfen seiner Vorfahren wandeln dürfen, nie den Tod seines Vaters besingen können, nie wieder die Lieder seiner Kindheit hören dürfen, nie wieder das köstliche Wasser seiner Heimat riechen. Er baute sich ein Kanu und segelte zu fernen Meeren, wo die Menschen in verschiedenen Farben gebacken wurden und wo jeder Baum für ein halbes Jahr starb. Er lebte sehr lange und hatte viele Länder bereist, doch eines Tages fand er einen Ort, der der beste von allen war – die Insel seiner Kindheit. Dort trat er ans Ufer und konnte glücklich sterben, weil er wieder heimgekehrt war. Danach verwandelte Imo die beiden Brüder in Sterne und hing sie an den Himmel, damit wir uns für immer an den Bruder erinnern, der so weit fortgesegelt war, dass er wieder zurückkam.«
    Du meine Güte, dachte Daphne, während das Bild des sterbenden Bruders vor ihrem geistigen Auge verblasste, ist das traurig. Doch es ist eine Geschichte über etwas ganz anderes, über eine Reise, die so weit ist, dass man wieder zurückkommt… Oh, ich muss unbedingt noch einmal in diese Höhle!
    »Aber das Geistermädchen ist doch schon verbannt«, gab Mau zu bedenken. »Die Welle hat sie zu uns in die Verbannung geschickt.« Also musste die Sache weiter diskutiert werden.
    Eine halbe Stunde später hatte sich an der Situation nicht viel geändert. Die gesamte Bevölkerung der Insel saß im Kreis um Daphne herum und versuchte, ihr zu helfen. Versuchte zu verstehen, während der Gerichtsprozess weiterging.
    »Du hast gesagt, es wären böse Hosenmenschen gewesen«, sagte Mau.
    »Ja. Die schlimmsten, die es gibt«, bestätigte Daphne. »Mörder und Raufbolde. Du sagst, dass du im Schatten von Locaha wandelst, aber sie wandelten in seinem Lendenschurz, wenn er viele Monate lang nicht gebadet hat.« Darüber wurde gelacht.
    Wahrscheinlich hatte sie irgendetwas falsch ausgedrückt.
    »Und wie sollen sie in Locahas Lendenschurz gewandelt sein?«, fragte Pilu. Doch zu seiner offenkundigen Enttäuschung lachten die Leute diesmal nicht so sehr.
    »Das ist die falsche Frage«, meldete sich Mau wieder zu Wort, und das Lachen hörte auf. »Du sagst, du hättest ihnen vom Bierlied erzählt, aber sie hätten nicht auf dich gehört. Es ist doch nicht deine Schuld, dass der Mann ein Dummkopf war.«
    »Richtig, aber es war ein Trick von mir«, sagte Daphne. »Ich wusste, dass sie es nicht ernst nehmen würden.«
    »Warum wollten sie denn nicht auf dich hören?«
    »Weil…« Sie zögerte, aber jetzt ließ sich die Sache nicht mehr umgehen. »Ich werde euch lieber alles erzählen. Und ich möchte euch alles erzählen. Ihr solltet wissen, was an Bord der
Sweet Judy
geschehen ist. Ihr solltet von den Delfinen und dem Schmetterling und dem Mann im Kanu erfahren!«
    Und während der Kreis mit offenen Mündern lauschte, schilderte sie, was sie gesehen, was Cookie ihr erzählt und was Captain Roberts ins Schiffslogbuch eingetragen hatte. Sie erzählte ihnen vom Ersten Offizier Cox und der Meuterei und dem Mann im Kanu…
    … der braun gewesen war und aussah, als wäre er aus altem Leder gemacht, genau wie Mrs. Glucker. Die
Sweet Judy
war zwischen den Inseln auf ihn gestoßen, wo er eifrig in seinem kleinen Kanu dem Horizont entgegen paddelte.
    Der Erste Offizier behauptete, der Mann hätte eine obszöne Geste gemacht. Foxlip und Polegrave hatten seine Aussage bestätigt, doch im Logbuch vermerkte der Captain, der mit jedem von ihnen unter vier Augen gesprochen hatte, dass sie keine genaueren Angaben über die Art dieser Geste machen

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