Eine Japanerin in Florenz
derjenige, der gehen muß. Sie verläßt mich, aber das hier ist das Haus ihrer Mutter. Sie erwartet, daß ich gehe. Ich soll mir ein neues Zuhause suchen.«
»Äh – und Monica?«
»Sie lebt mit ihrer Mutter zusammen, eine nette Frau. Ich kann nichts gegen sie sagen, sie ist fast neunzig. Worauf ich hinauswill, ist – nun ja, wenn es zum Beispiel so richtig heiß ist und ich einfach nur in meiner Unterwäsche herumlaufen will, dann tue ich das. Aber wenn ich Gast im Hause eines anderen bin, kann ich das nicht. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja, schon, aber wo sie doch fast neunzig ist, da …«
»Sie ist in besserer Verfassung als Sie und ich. Wahrscheinlich wird sie mich überleben. Werden Sie mit ihr reden?«
»Mit wem? Mit der Mutter?«
»Mit Monica!«
Als der Maresciallo sich schließlich verabschiedete, fühlte er sich ziemlich erschöpft. Nardi machte sich nie die Mühe, sein Gebiß einzusetzen. Dabei besaß er bloß noch vier eigene Zähne, denen das Alter und das Nikotin übel mitgespielt hatten, sehr, sehr übel. Da fragte man sich unwillkürlich …
Als sie weiterfuhren, beschloß der Maresciallo, daß er alles tun würde, um diese verfahrene Angelegenheit Lorenzini zu überlassen. Wenn sie ihn nicht gut kannten, dann wurde es eben höchste Zeit, daß sie ihn besser kennenlernten. Vier Zähne! Der junge Esposito neben ihm war ein wirklich gutaussehender Mann, keine Frage. Groß, gebräunt, nett, strahlend weiße Zähne. Mit seinem freundlichen Lächeln hatte er Teresa sofort für sich eingenommen. War dieser junge Bursche überhaupt in der Verfassung, Auto zu fahren? Der Maresciallo wandte seine Aufmerksamkeit der Straße zu.
»Was für ein Verkehr! Wir werden eine Stunde brauchen, wenn das so weitergeht.«
Dabei war der Verkehr nicht schlimmer als sonst auch. Es dauerte immer eine Stunde. Trotz der Abgase drang der zarte Duft der blühenden Linden am Straßenrand bis ins Auto, so daß die Fahrt gar nicht so unangenehm war. Espositos mürrisches Schweigen allerdings irritierte den Maresciallo viel mehr als Nardis Gejammer. Doch tröstete er sich mit dem Gedanken an das Treffen mit Professor Forli, das ihrer beider Aufmerksamkeit, Espositos wie auch die seine, gänzlich in Anspruch nehmen würde. Wie immer würde der Professor Fragen stellen, die er noch im selben Atemzug selbst beantwortete, ehe sie überhaupt den Mund aufbekamen. Das war seine Art. Das gerichtsmedizinische Institut gehörte als Fachabteilung zur Universität von Florenz. Professor Forli lehrte hier als Dozent, als sehr begabter Dozent. Alljährlich unterrichtete er auch die Anwärter für die Offizierslaufbahn in forensischer Pathologie und verwirrte sie mit seinem ungewöhnlichen Vortragsstil. Ein Stil, den der Professor selbst entwickelt hatte und auf den er sehr stolz war, weil er sich als ausgesprochen effizient erwiesen hatte. Er nahm seine Vorträge auf Tonband auf, das er in der Vorlesung abspielte, während er, die Hände auf dem Rücken verschränkt, durch den Saal marschierte und seiner eigenen Stimme lauschte, bis er es nicht mehr aushielt und sich in den eigenen Vortrag einmischte. Anschließend übernahm er wieder, hielt den Vortrag weiter, Wort für Wort, zeitgleich mit dem Band, bis ihn dieser Wettstreit selbst so sehr irritierte, daß er das Tonband abschaltete. Einer der Carabiniere-Studenten hatte dies in einem Cartoon festgehalten, eine Sprechblase für den Professor und eine für das Tonband: »Nekrophage Organismen haben bei der Aufklärung von Todesfällen und Verwesungsumständen in der forensischen Gerichtsmedizin eine besondere Bedeutung. Verschiedene Fliegenlarven, zum Beispiel die der Schmeißfliegen, Käsefliegen oder Fleischfliegen …« Von diesem Cartoon zirkulierten Kopien an der gesamten Uni, und schließlich fiel natürlich auch eine dem Professor in die Hände.
Als der Maresciallo und Esposito den Fachbereich erreichten, wurden sie einen breiten Marmorflur zu Forlis Büro hinuntergeschickt, wo sie warten mußten. Das erste, was sie in diesem Büro erblickten, war der Cartoon, der auf einem Pinn brett hinter dem Schreibtisch einen prominenten Platz einnahm. Er war gut gezeichnet. Das spitze Kinn sprang weit aus dem hageren Gesicht des Professors hervor, die großen Hände hielt er fest auf dem Rücken verschränkt. Esposito warf einen erstaunten Blick auf den Cartoon und dann auf den Maresciallo. »War er denn gar nicht sauer?«
»Warum sollte er? Hast du die Autopsiestunden bei ihm
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