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Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Italienischstunde nennt. Mehr kann er sich nicht leisten. Ich glaube, er besorgt sich meistens was und ißt an der Werkbank.«
    »Also zahlt Peruzzi nicht gut?«
    »Zahlen? Peruzzi zahlt überhaupt nichts. Er unterrichtet ihn. So funktioniert das heutzutage, Maresciallo. Die Ausländer kommen hierher, um von unseren Handwerkern und Künstlern zu lernen. Für das Privileg, bei uns lernen zu dürfen, zahlen sie Lehrgeld. Wer will da schon einen italienischen Teenager einstellen?! Mit fünfzehn muß man denen noch alles beibringen, und es dauert Jahre, bis sie etwas produzieren, was Geld einbringt. Dafür soll der Lehrmeister auch noch Lohn und immense Abgaben zahlen! Das kann sich niemand mehr leisten. Diese Politik geht in die völlig falsche Richtung, und wenn die Linken das nicht selbst wieder auf die Reihe bekommen und erkennen, welchen Schaden –«
    »Dieser Lehrling«, unterbrach der Maresciallo gewaltsam den Redestrom, nahm das Hühnchen von Sonia entgegen und griff nach dem Brot. »Dann muß er also selbst Geld haben. Wie könnte er es sich sonst erlauben, hierzubleiben? Er muß schließlich Miete zahlen, und auch wenn er nicht viel ißt, so muß er dennoch irgend etwas essen.«
    »So funktioniert das nicht. Wissen Sie, er hat in einer Schuhfabrik gearbeitet, irgendwo in der Nähe von Tokio. Ich versuche lieber erst gar nicht, den Namen der Stadt auszusprechen. Er hat uns erzählt, daß sie einmal im Jahr eine Verlosung machen für die Arbeiter, und der erste Preis ist eine Reise nach Europa. Sie müssen doch auch schon Japaner gesehen haben, die eigentlich eher ärmlich wirken und dennoch Gucci mit Tüten beladen wieder verlassen? Das sind Fabrikarbeiter, die für ihre Freunde einkaufen, die die Reise nicht gewonnen haben. Das Zeug hier kostet nur ein Zehntel von dem, was es in Tokio kostet. So ist Issino das erste Mal hierhergekommen. Und da hat er beschlossen, daß er zurückkommen wollte. Er hat jeden Cent gespart, und da ist er wieder. Er wird durchhalten, nicht wie Akiko. Wir waren alle ziemlich überrascht, daß Akiko gegangen ist. Peruzzi war außer sich. Der beste Lehrling, den er jemals hatte. Einfach gegangen, ohne ein Wort zu sagen. Wahrscheinlich haben Sie davon gehört, oder? Was auch immer davon zu halten ist, hier geht es um echtes Können und Fachwissen, das aus unserem Land geht. Unsere Enkel werden nach Japan fliegen müssen, um echte Florentiner Schuhe zu finden, und nach China, um eine Flasche Chianti zu trinken. Nein, nein, hier könnt ihr euch heute leider nicht hinsetzen. Der Maresciallo und ich haben etwas zu besprechen.«
    Der Drucker und der Packer waren gemeinsam angekommen.
    »Was gibt’s zum Essen?«
    »Polio alla cacciatora.«
    Sie setzten sich zu Santini an den Tisch und riefen nach Sonia.
    »Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.« Widerstrebend erhob sich Lapo. Die vier äußeren Tische waren alle besetzt, und auch im Innern des Lokals drängten sich die Gäste, da nun die Werkstätten alle schlossen. »Ich muß Sonia wieder reinschicken. Lassen Sie die anderen beiden Plätze ruhig besetzen, aber halten Sie mir meinen Platz frei. Ich komme wieder, damit wir uns noch ein wenig unterhalten können. Ich unterhalte mich gerne mit Ihnen. Lassen Sie es sich jetzt erst einmal schmecken.«
    Der Maresciallo fand, daß Lapo sich mit jedem gerne unterhielt, und staunte über die Geduld seiner hart arbeitenden Frau und seiner Tochter. Der Tag war heiß und sonnig, die Gesellschaft unterhaltsam und das Huhn wirklich köstlich. So aß er und dachte an den schweigsamen Japaner in der langen Schürze, glich das, was er von ihm wahrgenommen hatte, mit Lapos Beschreibung ab. Während er kaute, spulte er das Zusammentreffen wie einen Film vor seinem geistigen Auge noch einmal ab. Der Junge hatte ihn glatt auflaufen lassen, ließ sich durch sein Schweigen nicht im geringsten provozieren. Sein Verhalten konnte allerdings auch einfach nur gutes und korrektes Benehmen eines Menschen aus einem anderen Kulturkreis sein.
    Aber davon einmal abgesehen, was hatte er sonst noch wahrgenommen? Einen beunruhigten Blick auf den einzelnen Schuh, einen Blick nach hinten. Er hatte kein Geld. Ging nicht aus, sondern aß beinahe jeden Tag an seiner Werkbank. Peruzzi zahlte ihm keinen Lohn.
    Er hielt Lapo auf, der mit schmutzigen Tellern auf dem Weg zur Küche gerade an ihm vorbeikam.
    »Dieser Lehrling – und keine Sorge, das bleibt unter uns, ich werde gleich wieder vergessen, was Sie mir sagen –, er wohnt

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