Eine Japanerin in Florenz
ihr fertig ist, sagen Sie ihm, daß ich in meinem Büro bin und mindestens eine Stunde lang nicht gestört werden will – und stellen Sie bitte auch keine Anrufe durch.«
»In Ordnung.«
Aber als die weinende Monica die Wache schließlich wieder verließ, waren die Männer der Motorradpatrouille ein weiteres Mal zurückgekehrt und gute zwei Stunden vergangen. Der Maresciallo saß noch immer hinter seinem Schreibtisch, so tief entsetzt und schockiert, daß er sich nicht von der Stelle rühren konnte. Als Lorenzini schließlich verwirrt den Kopf zu ihm hereinstreckte, konnte er noch immer keinen Ton sagen, starrte den jungen Carabiniere an, ohne ihn wirklich wahrzunehmen.
»Was ist denn mit Ihnen los? Was ist passiert?«
Der Maresciallo verbarg das Gesicht in seinen Händen und rieb sich heftig die Augen. Dann holte er tief Luft, riß sich zusammen. »Kommen Sie lieber rein, und schließen Sie die Tür.«
7
Haben Sie in Borgognissanti Bescheid gesagt?«
»Nein.«
»Sie haben noch mit niemandem gesprochen?«
»Nein.« Wie hätte er das erklären sollen? Er hatte seit Ewigkeiten hier gesessen, wie gelähmt, denn wenn er sich bewegte, wenn er reagierte auf das, was er gesehen hatte, wenn er jemandem davon erzählte, würde es real werden. Er hatte sozusagen den Atem angehalten, versucht, den Lauf der Welt zu stoppen. Er war dafür verantwortlich, keine Frage. Sein Fehler. Und jetzt saß ihm Lorenzini gegenüber, trommelte vor lauter Ungeduld mit den Fingern auf die Tischplatte, ein nervöses Wrack.
»Ich habe nachgedacht …«, log er. »Wollte es nicht noch schlimmer machen.«
»Wieviel schlimmer kann es denn werden? Sie ist tot. Was ist schlimmer als tot?« Lorenzini sah ihn mit diesem Blick an, den er immer parat hatte, wenn sein aggressiver, gesunder Menschenverstand mit der sizilianischen Mentalität des Maresciallo kollidierte. Über die Jahre hatte er gelernt, Geduld zu üben, aber ganz offensichtlich war er dieses Mal davon überzeugt, daß jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, sich in dem ihm so vertrauten, schleppenden Stil seines südländischen Vorgesetzten taktisch vorsichtig voranzutasten.
»Soll ich anrufen? Oder sollen wir rüberfahren? Wo ist das Problem? Wir müssen etwas unternehmen.« Er versuchte gar nicht, seine Verärgerung zu verbergen. »Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn die Zeitungen zuerst davon erfahren?«
»Ja.«
Lapo hatte es gesagt: ›Du liebe Güte, wenn ich gequatscht hätte – eine solche Geschichte wäre doch sofort als Schlagzeile auf der Titelseite erschienen …‹
Die Fotos bedeckten den ganzen Schreibtisch. Blicke auf rote Dächer, Kirchenkuppeln, die Türme der Piazzale Michelangelo, Blicke hinaus auf das Arnotal vom Bellosguardo aus, den Ponte Vecchio von der Santa-Trinita-Brücke, Peruzzi und Issino in den langen Schürzen an der Tür der Werkstatt, Nahaufnahmen von Schuhen, Detailaufnahmen von Schuhen, Schuhe im Entstehungsprozeß.
Und dann ein ganzer Stapel Bilder von ihm.
Strahlende Augen, das Gesicht leicht gerötet. Der gleiche Ausdruck, der auf Totòs Gesicht zu sehen war, als er an seinem Vater vorbeistürmte, das Gesicht eines Menschen, der verliebt ist.
»Rufen Sie ihn an.«
»Was?«
»Oder besser noch, schicken Sie jemanden hinaus, und lassen Sie ihn herbringen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn das herauskommt, haut er vielleicht ab.«
»Das ist er schon.« Der Maresciallo beobachtete Lorenzinis Minenspiel. Er kannte diesen Mann nun schon so lange. Je aggressiver er sich nach außen gab, um so betroffener und bestürzter war er. Jetzt war er zutiefst betroffen. »Was die Zeitungen angeht, haben Sie natürlich recht. Wir können uns auf einen schlimmen Skandal gefaßt machen. Aber was sein Verschwinden angeht, sind wir zu spät. Ich habe vorhin zwar gesagt, daß ich noch mit niemandem darüber geredet habe, und das habe ich auch nicht. Aber da Capitano Maestrangelo mich ausdrücklich gebeten hatte, ein Auge auf ihn zu halten, habe ich bei seiner Mutter angerufen. Ich war ganz schön überrascht, als sie mich frisch und gut gelaunt begrüßte. Sie hat sich sehr über meinen Anruf gefreut, aber natürlich wußte sie, daß es dafür einen Grund geben mußte:
›Ist ihm etwas zugestoßen?‹
›Nein, nein, keine Sorge.‹
›Das ist ein so gefährlicher Beruf. Ich mache mir ständig Sorgen.‹
›Nein, nein, nichts dergleichen, das schwöre ich. Ich wollte ihn nur etwas zu einem Fall fragen, den wir zusammen bearbeiten. Geht
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