Eine Japanerin in Florenz
wegen des Schuhs gekommen. Am besten kommen Sie mit. Wir haben ihn nicht angerührt. Ich habe es Giovanni verboten. Sie werden Fotos davon machen wollen, wie oben am Teich, habe ich gesagt. Stimmt’s?«
»Ich … Ja, natürlich. Wo haben Sie …?«
»Können wir gehen?«
Während sie den steilen Kiesweg hinaufgingen, stand Beppes Mundwerk trotz seines Alters und seiner Beleibtheit nicht still.
»Der Sturm letzte Nacht, wissen Sie. Nach einem Sturm müssen wir immer alle Abflüsse überprüfen. Und da war er dann. Verstehen Sie?«
Der blasse, noch nicht wieder ganz trockene Kies war alle paar Meter mit einer schräg verlaufenden, steinernen Abflußrinne durchsetzt, die am Wegesrand in einer Art winziger Grabstätte endete, zumindest konnte man diesen Eindruck gewinnen.
»Wir müssen hier nach links und dann den Hauptweg noch ein bißchen weiter hoch.«
Der Hauptweg war noch steiler, und Beppes Wortschwall versiegte, während er nach Luft schnappte.
»Wie weit ist es noch?« erkundigte sich der Maresciallo.
»Nicht mehr weit. Giovanni ist dort geblieben, um aufzupassen. Wir dachten, einer sollte besser dort Posten stehen, für alle Fälle.«
Das breite Band des sandfarbenen Kieswegs stieg an bis zum glitzernden Horizont, gekrönt von einer steinernen Treppe, an deren Ende eine Reiterstatue thronte. Große, weiße Wolken segelten am dunkelblauen Himmel dahin, und die Luft duftete nach feuchten Lorbeerblättern. Als sie endlich Giovanni, den Obergärtner, erreicht hatten, machte dieser einen Schritt zur Seite, um dem Maresciallo freie Sicht zu verschaffen.
»Wir haben ihn nicht berührt. Ich nehme an, Sie werden Aufnahmen machen, wie an dem Wasserbecken oben. Sie haben Glück gehabt. Diese Abflußrinnen sind zwar nicht viel breiter als eine Hand, aber hinter diesem Durchlaß wird die Öffnung riesig. Mit ein wenig mehr Druck wäre er hier durchgerutscht, und Sie hätten ihn nie wiedergesehen. Aber so, mit dem verhakten Absatz, steckte er hier fest. Der Sturm hat noch ein übriges getan und Kies und Blätter angespült, so daß das Wasser nicht mehr richtig ablaufen konnte. Deshalb haben wir ihn entdeckt.«
»Ich habe sofort gewußt, daß es der ist, den Sie suchen, nicht wahr?« erkundigte sich Beppe eifrig.
»Ja, das ist er.« Der Maresciallo richtete sich auf und schaute sich um. »Das Wasserbecken, wo wir sie gefunden haben, muß sich dort oben rechts befinden, oder? Wenn unser Mann diesen Weg hier geradewegs hinuntergegangen ist, dann hat er nicht den Analena-Ausgang genommen, der der nächstgelegene gewesen wäre.«
Unten, am Ende des Hauptweges, befanden sich das größte Wasserbecken mit der kleinen Insel in der Mitte, der Porta-Romana-Ausgang und die Ringstraßen. Dieser Ausgang war der von Peruzzis Werkstatt am weitesten entfernte, am weitesten entfernt von Issino, von der Wohnung des japanischen Mädchens, von ihrer ganzen Welt. Die Besucher, die aus der Innenstadt kamen, parkten ihre Autos bei der Stadtmauer und der Porta Romana. Der Freund vielleicht? Rom. Wer hatte noch Rom erwähnt? Lapo oder Peruzzi? Peruzzi, als er vor Wut die Tür zugeknallt hatte, zornesrot im Gesicht: ›Wenn sie nicht in Rom ist, habe ich keine Ahnung, wo sie steckt!‹ Lapo hatte ihm von einem Freund in Rom erzählt. Waren dieser ganze Zorn und diese Wut tatsächlich auf das flegelhafte Benehmen der Touristen zurückzuführen, oder kaschierte der Schuhmachermeister damit nur seine Eifersucht?
›Sie mögen ja Zeit haben, hinter jungen Leuten herzulaufen, die nicht wissen, was sie wollen …‹
Der Maresciallo hatte es eilig, wieder zurück zu all den Briefen und Fotos in sein Büro zu kommen. Sobald die Techniker auf der Bildfläche erschienen waren, machte er sich auf den Weg. Seine Schritte knirschten schon auf dem Kies, als er hörte, wie Beppe, schon wieder fast ganz bei Atem, seine Geschichte erzählte.
»Der Maresciallo hat meinen Namen und die Adresse, falls Sie mich noch mal brauchen.«
Der Maresciallo erhöhte sein Schrittempo. Als er die Wache betrat, war der Warteraum leer. Er schaute in das Dienstzimmer der Carabinieri und hörte das Knattern der Motorradpatrouille, die gerade zurückkehrte.
»Alles in Ordnung?«
Der junge Carabiniere sah auf. »Bestens. Alles ruhig.«
»Lorenzini?«
»Jemand ist bei ihm. Eine Frau. Hat sich die Augen ausgeweint. Ich habe sie bis hierher hören können, aber jetzt scheint sie sich beruhigt zu haben.«
»O nein. Das ist bestimmt Monica. Passen Sie auf. Wenn er mit
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