Eine Japanerin in Florenz
wenig auf. Aber sie hatte doch schwarzes Haar? Oder waren das nur die schwarzen Wurzeln der Wasserpflanzen gewesen, die wie Haar aussahen? Nein, sie war Japanerin. Keine Japanerin hatte langes, blondes Haar, das sich bis zur Taille hinunter lockte. Wieso brachte er nur immer alles durcheinander? Und warum konnte er sich nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern?
Da entschwebte sie mitsamt dem Wasserbecken.
»Halt! Warten Sie! Ich habe Sie nicht erkannt!«
»Ich weiß.« Ihre Stimme erreichte ihn aus weiter Ferne, einsam und sehr traurig. »Weil ich kein Gesicht mehr habe.«
Weiter und weiter schwebte sie davon.
»Warten Sie! Bitte, warten Sie doch. Akiko. Sie heißen Akiko!«
Es war zu spät.
»Jetzt ist sie tot«, sagte der Gärtner. »Schauen Sie ins Wasserbecken.«
Er wollte nicht dort hineinsehen, aber die anderen standen alle da und warteten. Peruzzi, Lapo, Santini. Alle.
Er machte einen Schritt nach vorn ins helle Licht. Sein Herz schlug heftig, der Schweiß rann nur so an ihm herunter. Er hatte gedacht, er befände sich bereits im Zug, aber als er das Wasserbecken erreichte, zwangen sie ihn, auf den Rand zu treten und um das Becken herumzugehen. Er rang um sein Gleichgewicht, bis sie endlich das Ende der Plattform erreicht hatten. Dann kletterten sie in den Zug und kämpften sich zum Mittelgang vor. Die Bahnpolizei war schon da, die Carabinieri auch und der Staatsanwalt. Sie alle machten ihm Platz.
»Es ist sein Vater«, sagte jemand.
Er blieb am Rande der Blutlache stehen, die bereits zu trocknen begann. Die Tür zur Toilette war aufgebrochen worden und hing ganz schief in den Angeln. Esposito saß zusammengesunken in dem winzigen Raum, aber sein Kopf war aufgerichtet, lehnte an der Wand. Im Profil sah sein Gesicht wirklich perfekt aus. Er lächelte. Das Herz des Maresciallo tat einen Sprung. Es war nicht zu spät!
»Esposito! Es wird alles wieder gut. Das verspreche ich. Ich werde dir helfen. Wir alle werden dir helfen.«
Lange sprach er so mit Esposito. Er bekam zwar keine Antwort, aber das war nicht wichtig. Wichtig war nur, daß sich das Licht auf seinem Gesicht warm und angenehm anfühlte, solange er sprach, und daß ihm das Atmen wieder leichter fiel. Esposito verstand die Worte, die der Maresciallo selbst nicht richtig hören, sondern nur bruchstückhaft aufschnappen konnte.
»Und an deinem Geburtstag gehen wir zu Lapo essen, und alle, die dich mögen, werden dasein. Du kannst bestellen, was du willst, ganz egal was. Du wirst glücklich sein, bestimmt. Wir wollen, daß du ißt. Du mußt essen, um am Leben zu bleiben. Mehr wollen wir gar nicht. Verstehst du das?«
Er verstand. Sein hübsches Gesicht, noch immer im Profil, noch immer lächelnd.
»Und sieh doch nur, sieh doch nur, wie die Sonne dein Glas Wein wärmt und diesen roten Flecken auf das weiße Tischtuch wirft … Nein, nicht anfassen. Dreh dich nicht um.«
Es umgab sie solch ein warmes Glühen, da mußte einfach alles in Ordnung sein.
»Wir werden deiner Mutter nichts sagen, das ist besser so. Wir werden ihr nichts sagen. Alles kommt wieder in Ordnung. Mit der Zeit wird es dir wieder bessergehen.«
Die plappernden Stimmen waren nun still. Niemand störte sie.
Sie hatten es nicht sonderlich eilig, zurück ins Büro zu kommen, deshalb spazierten sie durch den Boboli. Lorenzini würde sich schon um alles kümmern. Warum sollte er sich Sorgen machen? Esposito war nur durcheinander und brauchte eine Pause. Das war alles. Sie mußten es vorsichtig angehen. Gemeinsam spazierten sie durch die Anlage, und der Maresciallo redete auf ihn ein, sprach ihm Mut zu, damit er durchhielt. Es machte nichts, daß er die eigenen Worte nicht hören konnte, Esposito konnte sie auch nicht hören. Das einzige, was zählte, war, daß da jemand mit ihm redete, ganz nah und beruhigend.
Es war nicht mehr dunkel. Er konnte jeden Stein, jedes Blatt erkennen. Eine Doppelreihe Zitronenbäumchen in Blumentöpfen zierte den Steg im großen Wasserbecken, der hinüber zu Poseidons Insel führte. Das Bild war so deutlich und klar, daß die Zitronen glänzten und in dem grünen Wasser orangefarbene Schatten auftauchten und wieder verschwanden.
»Nein, wirf das Brot, aber faß nicht mit der Hand ins Wasser.
Sieh dir diesen riesengroßen an. Der könnte dich mit einem Haps verschlucken.«
»Kann er das wirklich, Paps?«
»Nein, Giovanni nimmt dich nur auf den Arm. Komm da weg.«
Esposito folgte ihm, ohne zu protestieren, verhielt sich sehr still.
»Wir
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