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Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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nicht Nacht sein. Der Garten schloß bei Sonnenuntergang.
    »Sandwiches, Kaffee, Wasser, Saft?«
    Er fuhr Zug. So etwas wurde im Boboli nicht verkauft.
    »Das ist ein Traum«, erklärte der Gärtner.
    »Ich weiß, ich weiß, aber ich möchte nicht allein dort hinaufgehen.«
    Wo war das japanische Mädchen? Wieso konnte sie ohne Schuhe auf dem Kies laufen?
    »Sie hat Schuhe an.«
    »Das kann nicht sein. Wir haben ihre Schuhe. Sie ist tot.«
    »Sie stirbt erst am Wasserbecken. Darum trage ich diese Pflanze.«
    Deshalb konnte er den Gärtner nicht sehen. Die Pflanze war so groß, daß er ganz dahinter verschwand. Für ein Weilchen stiegen sie schweigend weiter den Pfad hinauf. »Die Pflanze in ihrer Wohnung ist vertrocknet«, sagte der Gärtner schließlich. »Sie haben sie nicht gegossen.«
    »Ich konnte nicht, hatte zuviel zu tun.«
    »Andere Dinge können warten. Wenn eine Pflanze nicht gegossen wird, stirbt sie. Das kann nicht warten.«
    »Es war doch schon zu spät. Sie war bereits tot. Ich hatte keine Ahnung von dem Mädchen, wußte nichts von ihr und Esposito. Warum glaubt mir denn niemand?«
    Die Blätter der Lorbeerhecke streiften seine rechte Wange, zerkratzten sie, aber er hielt den Kopf fest an die Kopfstütze gepreßt, damit er nicht nach vorn sank. Sie bogen nach links ab und setzten ihren Aufstieg fort. Es schien ein bißchen heller zu werden. Als der Maresciallo den Grund dafür erkannte, begann sein Herz heftig zu schlagen, Schweißtropfen sammelten sich in seiner Achsel. Er hielt den Blick gesenkt, fixierte den Kies, der unter seinen Füßen dahinglitt wie ein Fluß. Wenn er sich umwandte, würde er das Gleichgewicht verlieren. Außerdem bemerkte er erst jetzt, daß ihm eine Gruppe lärmend schwatzender Menschen folgte, aufholte, immer näher kam. Bestimmt Journalisten, Mitarbeiter des Staatsanwalts, Leute aus dem Zug …
    Das Licht vom oberen Weg wurde stärker, blitzte immer wieder auf, und jedesmal durchlief ihn eine Welle der Angst. Er drückte den Kopf tiefer auf die Brust, kniff fest die Augen zu, aber nichts konnte dieses Licht abhalten, nichts konnte seinen unerbittlichen Aufstieg zu dem Wasserbecken stoppen.
    Er bekam kaum noch Luft, der Nacken schmerzte. Obwohl er sich so bemüht hatte, den Kopf fest gegen die Stütze zu drücken, war er nach vorn gefallen, das Kinn drückte auf die Brust und blockierte die Luftröhre. Es gelang ihm aber nicht, so weit in die Realität zurückzukehren, daß er das hätte korrigieren können. Er wußte, daß er schnarchte, und, was noch schlimmer war, er konnte das stete Tröpfeln des Speichels, der sich in seinem rechten Mundwinkel sammelte, einfach nicht verhindern.
    »Er muß schrecklich erschöpft sein.«
    »Kommen Sie zurecht?«
    »Ja, danke. Entschuldigen Sie bitte.«
    Beruhigende Stimmen. Wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, hätte er das linke Bein ein wenig an die Seite genommen, um Platz für sie zu machen, aber das gelang ihm nicht. Er wollte, daß sie weiterredeten, wollte auf diese Weise in der gemütlichen, abgedunkelten Welt des Zuges festgehalten werden, aber sie schwiegen jetzt, und das Rattern der Räder reichte nicht dazu aus, ihn zu halten. Alles verblaßte schon, die Welt wurde heller, es blitzte, blitzte wieder …
    »Sie können sie jetzt sehen, wenn Sie hochschauen.«
    Er wollte es nicht, aber er mußte. Er mußte den Kopf heben. Der Gärtner hatte recht. Er hielt die Luft an. Mit einem erstickten Schnarcher schwang er den Kopf hoch, raus aus der Sicherheit, hinauf in die Leere, wo das Licht ihn blendete. Er starrte den Kiesweg hoch, hinauf bis zum Horizont, aber er konnte sie nicht sehen. In dem blendenden Licht konnte er nichts weiter als die Reiterstatue erkennen. Diejenige, die immer da war, der Gärtner sollte das wissen, schließlich arbeitete er hier.
    »Das ist sie. Geht nie gemächlich, wenn sie flott marschieren kann.«
    Aber als sie den Botanischen Garten erreichten, sahen sie die Reiterstatue nicht mehr.
    Die Tür war verschlossen, und sie mußten über den Stacheldraht klettern und sich einen Weg durch die hohe Lorbeerhecke bahnen. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, stand am Rand des Beckens und blickte hinunter ins Wasser. Sie war gar nicht so klein, wie er gedacht hatte. Und sie trug immer noch ihre Schuhe. Vielleicht konnte er sie noch rechtzeitig erreichen, aber er kam kaum vorwärts, seine Beine waren schwer wie Blei. Er wagte es nicht, sie zu rufen, aus Sorge, sie würde vor ihm davonlaufen. Er holte nun ein

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