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Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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können uns setzen, wenn du müde bist. Diese Steinbänke sind angenehm glatt.«
    Aber sie blieben nicht stehen, gönnten sich keine Verschnaufpause. Die Sonne wärmte dem Maresciallo die Stirn, und es fühlte sich angenehm an. Was war mit Esposito? Das gutaussehende Profil lächelte noch immer, aber die andere Seite?
    »Es ist jetzt besser«, sagte Esposito.
    Sie wandten sich nach rechts und machten sich an den Aufstieg.
    »Nein … geh nicht dort hinauf. Du darfst nicht dort hinaufgehen.«
    Esposito gehorchte nicht. Der Maresciallo spürte, wie der junge Mann immer gleichgültiger und trauriger wurde.
    »Warte … Wir kehren um.«
    Doch er wußte, daß sie das nicht konnten. Sie gingen den Weg weiter hinauf, bis sie den Botanischen Garten erreicht hatten. Esposito ging dahin, wo die Menge wartete.
    »Nein …«
    Esposito plazierte sich selbst in das kleine Wasserbecken, während Forlis Stimme detailgetreu beschrieb, was da vor sich ging, obwohl er gar nicht anwesend war. Der Maresciallo begriff, daß die Stimme von einem Tonband kommen mußte, und er war zufrieden, denn Forli verstand die Toten.
    Ein Tropfen Wasser genügt.
    Esposito drückte den Lauf von unten gegen die Nase. Die Waffe sah aus wie eine Wasserpistole, aber in Wirklichkeit war es eine Beretta 9. Die eine Seite seines Gesichtes war unversehrt geblieben, und ein freundliches, dunkles Auge betrachtete den Maresciallo. Aber dann, in der Mitte, war das Gesicht aufgeplatzt wie eine reife Frucht, die andere Seite hatte es weggerissen, so daß es in die entgegengesetzte Richtung der Menge starrte, eine faltige Halbmaske gefüllt mit einer blutigen weißen Masse. Die Fotografen kamen herein und blitzten und blitzten und blitzten.
    »Die Fahrkarten, bitte!«
    Ruckartig wachte der Maresciallo auf. Die Sonne kam heraus und wärmte durch das Zugfenster seine Stirn. Telegraphenmasten huschten vorbei und blitzten im ersten Morgenlicht. Die offenen Felder dahinter lagen noch immer in einem undeutlichen hellen Grau. Seine Augen tränten.
    »Die Fahrkarten, bitte.«
    Noch immer ganz in seinem Traum gefangen, mit trockenem Mund und pochendem Schädel, suchte er nach seiner Fahrkarte und reichte sie dem Kontrolleur.
    »Dann wünsche ich Ihnen noch eine gute Reise. Auf Wiedersehen.«
    Die Frau auf dem Fensterplatz gegenüber sah den Maresciallo mitleidig an.
    »Sie haben so schön geschlafen. Eine Schande, daß er Sie geweckt hat.«
    »Tut mir leid. Bestimmt habe ich geschnarcht.«
    »Machen Sie sich keine Gedanken. Die anderen haben auch alle geschlafen, und mich stört es wirklich nicht.« Sie hielt die Stimme gesenkt, da die anderen Fahrgäste wieder dösten und auf diese Weise eine tröstliche Vertrautheit entstand. »Mein Sohn arbeitet für meinen Bruder in Arezzo, und wir wohnen in Florenz. Jeden Morgen muß er um fünf Uhr zum Zug, Sie können sich vorstellen, wie erschöpft er abends ist. Tausendmal hat er mir gesagt, daß er den ganzen Weg über bestimmt geschnarcht hat, und wahrscheinlich ist ihm sogar ein wenig Speichel aus dem Mundwinkel getröpfelt. Wenn er ein nettes Mädchen im Zug treffen würde … nicht auszumalen!«
    Der Maresciallo holte ein großes, weißes Taschentuch aus der Tasche und tupfte sich den Mundwinkel ab.
    »Ein bißchen weiter nach rechts«, murmelte sie. »Jawohl, jetzt haben Sie es. – Er hat wirklich Glück. Mein Bruder hat eine kleine Goldschmiedewerkstatt dort. Heutzutage ist es nicht einfach, eine Arbeit zu finden.«
    »Das ist es wirklich nicht.« Er betete, daß sie weiterreden und ihn mit diesem Traum nicht allein lassen würde.
    »Natürlich haben wir darüber nachgedacht, ein Auto anzuschaffen – bis jetzt hat er nur ein Moped gehabt, aber es ist so eine lange Fahrt, und er müßte noch immer sehr früh raus. Was ist schon das Schnarchen im Zug verglichen mit den Gefahren, im Halbschlaf die Autobahn hinunterzurasen?«
    »Da haben Sie recht. Die Autobahn ist im hellwachen Zustand schon gefährlich genug. Sorgen Sie bloß dafür, daß er bei der Bahn bleibt.« Er tupfte die tränenden Augen ab und setzte die Sonnenbrille auf.
    »Die Sonne stört Sie?«
    »Das ist nichts. Bloß eine Allergie.« Aber da er wollte, daß sie weiterredete, und er sich Sorgen machte, die dunklen Gläser könnten sie davon abhalten, setzte er die Konversation fort: »Ich habe selbst auch zwei Jungen.« Das lieferte ihnen für eine gute Viertelstunde weiteren Gesprächsstoff. »Bestimmt finden Sie es seltsam, daß ich um diese Zeit nach Florenz

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