Eine Japanerin in Florenz
zurückfahre – obwohl, meine Schwägerin fährt noch zu viel verrückteren Zeiten Zug –, bei mir haben sich für heute morgen um acht die Handwerker angemeldet, und ich wollte nicht absagen, denn ich warte schon seit Wochen auf sie. Sie wissen ja, wie das ist …«
Das war nun schon das dritte Mal, daß Sie ihn mehr oder weniger offen aufforderte, über den Grund seiner nächtlichen Reise zu reden.
Statt dessen erzählte er ihr von seiner jüngsten Erfahrung mit den Handwerkern und den rosafarbenen Fliesen.
»Nein! Sie müssen schrecklich wütend gewesen sein.«
Wenn sie nur weiterredete! Er wußte, daß sie wußte, was er brauchte, und ihre Versuche, ihn zum Reden zu bewegen, beruhten auf Mitgefühl, nicht auf Neugier.
Als sie sich den Außenbezirken von Florenz näherten, bot sie ihm ein Bonbon an.
»Vielen Dank.«
»Das sind Fruchtgummis. Manchmal braucht man ein wenig Zucker, um durchzuhalten. Das war eine lange Nacht.«
»Ja.«
»Nicht viele Leute nehmen diesen Zug von Rom nach Florenz, wo es doch jetzt den Intercity gibt, der viel schneller ist.«
»Das war der erste, der gefahren ist, und ich war so müde …«
Er wollte dieses unsichtbare Band zur sicheren, warmen Welt nicht durchtrennen, deshalb trug er ihr den kleinen Koffer zum Taxistand. Ein Fahrzeug von der Wache wartete auf der gegenüberliegenden Straßenseite im kalten Morgenlicht des leeren Bahnhofsvorplatzes. Er hielt ihr die Tür auf. »Danke«, sagte er, da ihm nichts anderes einfiel.
»Ich will, daß sein Leichnam zurück nach Florenz gebracht wird. Ich will, daß Forli die Autopsie macht.«
Er bot keine Erklärung für diese Forderung an, und der Capitano fragte auch nach keiner.
»Der römische Staatsanwalt wird das nicht gestatten«, war sein einziger Kommentar.
Die Gedanken des Maresciallo wanderten noch immer ziellos durch eine samtene römische Nacht. Zwei Federpalmen, beleuchtet von zwei gelben Kugellampen vor einer kleinen Trattoria. Ein gutgelaunter Ober in einer rotgestreiften Weste winkte ihn zu sich, als er auf dem Kopfsteinpflaster stand und die Messingglocke betätigte. Der Mann, den er suche, esse hier im Lokal mit seiner Freundin. Halb zwölf in der Nacht, und es war noch immer heiß. In der Trattoria spielte jemand Mandoline und sang dazu, während die Bedienungen dem Küchenpersonal ihre Bestellungen zuriefen. Im Kopf des Maresciallo schaute Espositos Gesicht in zwei verschiedene Richtungen, und als sie ihn fortschafften, tröpfelte Gehirnmasse auf den Boden. Die Hitze und das Licht ließen die Szene mit dem Lokal und den Kellnern zu irreal wirken, zu theatralisch, um die andere zu verdrängen. Er wollte nur noch fort von Rom.
Der Maresciallo beschloß, sich auf den neuen, vor ihm liegenden Tag zu konzentrieren, auf sein ruhiges Büro, auf das, was der Capitano sagte.
»Ich könnte es natürlich mit der Begründung versuchen, daß wir seine dna für die laufende Untersuchung zum Tod des japanischen Mädchens –«
»Akiko.«
»Wie bitte?«
»Nichts. Ihr Name ist Akiko. Akiko Kametsu.«
»Ja, natürlich.«
»Ich will, daß Forli die Autopsie macht. Ihr Name … ich habe ihn immer wieder vergessen. Manchmal zeigen sie diese Filme im Fernsehen, die über wahre Verbrechen oder Dinge, die während des Krieges passiert sind. Und wenn sie dann sagen, daß es sich um eine wahre Begebenheit handelt und daß sie nur einige Namen geändert haben, um Unschuldige zu schützen, dann frage ich mich immer, wo die sind, die Unschuldigen. Wie kann man sie so deutlich von den anderen abgrenzen?
Jetzt habe ich es begriffen. Nein, nicht so, wie die es meinen, wenn sie diesen Text im Fernsehen einblenden. Man kann von niemandem behaupten, daß er völlig unschuldig ist. Es ist einfach anders, eine andere Welt. Alle Menschen, die in diesen Fall verwickelt sind … Akiko, die Kunsthandwerker, Esposito … sie alle sind unschuldig, verstehen Sie, und doch ist da sonst niemand, der …«
»Guarnaccia, Sie sind vollkommen erschöpft. Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie direkt wieder zurückfahren mußten, statt eine Nacht in Rom zu bleiben. Und es gab erst recht keinen Grund, vom Bahnhof direkt hierherzukommen. Haben Sie überhaupt schon gefrühstückt?«
»Frühstück? Nein, nein, ich glaube nicht …« Da war noch so ein süßer Nachgeschmack in seinem Mund, aber er erinnerte sich nicht daran, Kaffee getrunken zu haben.
»Gehen Sie heim, Guarnaccia, und schlafen Sie sich aus.«
»Ja. Espositos Mutter hat ihn Enzo
Weitere Kostenlose Bücher