Eine Jungfrau Zu Viel
den Springbrunnen herum und fand ein Bleirohr, das zu einer erhöhten Zisterne führte – schlecht gemacht. Obwohl sich das Tröpfeln sicher hübsch anhörte, würde kaum etwas aus dem Springbrunnen rauskommen, und die Zisterne musste man dauernd auffüllen. Momentan war sie leer. Ich zog mich an einer Wand hinauf, um den Inhalt und den Boden der Zisterne zu überprüfen, verlor aber den Halt und plumpste zu Boden. Für das Nachfüllen brauchte man demnach eine Leiter. »Wie wird das Wasser hergebracht?«
»In Eimern aus der Küche.« Ich schaute mir den Weg auf meinem Lageplan an. Ein schmaler, geknickter Flur führte von einer Ecke zum Haushaltungstrakt. Das musste das Küchenpersonal verrückt machen (jetzt verstand ich, warum sie gereizt auf Gaias Bitte reagiert hatten, ihr ständig ihre Spielzeug-Vestalinnenausrüstung aufzufüllen). Das Nachfüllen des Gartentanks bedeutete Schwerstarbeit für die Wasserträger. Es sah so aus, als sollten die Bauarbeiter das Becken auf direktere Weise mit der Wasserversorgung verbinden. Nachdem es geleert worden war, hatten sie nichts mehr unternommen. Typisch.
»Und wie kommt das Wasser ins Haus? An welche Versorgung seid ihr angeschlossen?«
Das Kindermädchen hatte keine Ahnung, aber der Sklave, der mich bewachte, machte endlich den Mund auf und sagte mir, dass das Haus an ein Aquädukt angeschlossen sei. Vermutlich entweder die Aqua Appia oder die Aqua Marcia.
»Teile des Hauses sehen sehr alt aus. Weiß jemand, wie es vor dem Bau des Aquädukts mit Wasser versorgt wurde?«
Wieder konnte mir der Sklave weiterhelfen. »Die Bauarbeiter haben nahe der Küche einen alten Brunnen gefunden, aber der war zugeschüttet.«
»Komplett? Brunnen machen mich nervös. Kann man an ihn rankommen?«
»Nein, da kann nichts passieren. Der ist bis auf Bodenhöhe aufgefüllt.«
»Ist das der einzige Brunnen?« Er zuckte die Schultern. »Na gut. Jetzt zu gestern. Wo hat Gaia gespielt?«
»Hier beim Becken.«
Ich fand, dass das trockene Becken keine sonderlich anziehende Alternative zur Quelle der Egeria abgab. Außerdem waren die Bauarbeiter hier gewesen. Einsame kleine Mädchen geben sich normalerweise keinen Fantasiespielen hin, wenn muskulöse Männer in kurzen Tuniken mit lauten Stimmen und wüsten Ansichten Mörtelbretter hin und her schleppen. Ganz davon abgesehen, finden solche Burschen es auch nicht komisch, ständig einer Sechsjährigen ausweichen zu müssen.
Die Spatzen waren wieder da. Sie hatten einen ganzen Haufen Krumen gefunden. Es gab eine glatte weiße Bank mit einem Marmortisch, beide mit Sphinxfüßen, an dem die Arbeiter sich bestimmt gerne mit ihren Brotbeuteln ausbreiteten. Genau wie ich vermutet hatte – zwei leere Weinschläuche lagen sorgfältig hinter den Beinen der Bank versteckt, weil die Jungs wohl keine Lust gehabt hatten, ihren Abfall mit heimzunehmen. Die Spatzen hüpften im trockenen Becken herum und sahen zu mir auf, als wollten sie fragen, wo ihr Trinkwasser und ihr Bad geblieben war.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein kleines Mädchen hier gern spielt.«
Wieder meldete sich mein Wachhund zu Wort. »Sie geht oft da rüber.« Er führte mich zu einer der Kolonnaden. An der Hauswand befand sich ein kleiner Schrein. Offenbar tat Gaia so, als wäre das der Tempel der Vestalinnen. Sie sprenkelte bestimmt Wasser auf den Boden, versorgte ein imaginäres Feuer und bereitete ebenso imaginäre Salzkuchen zu. Ich fand ein Bündel aus Stöckchen, mit Wolle sorgfältig zu einem Besen zusammengebunden, mit dem Gaia ihren »Tempel« ausfegte, in Nachahmung der täglichen Rituale der Vestalinnen.
»Bekommt sie die Zutaten für ihre Salzkuchen?«
»Nein. Der Flamen Dialis will das nicht.« Ach, sieh einer an!
Ich hockte mich vor dem Schrein auf die Fersen. Eine durchbrochene Wand und eine Reihe von Oleanderbüschen schirmten mich vom restlichen Garten ab. Wenn das Kindermädchen nicht in direkter Nähe geblieben war, hätte Gaia ohne weiteres mit ihrem Spiel aufhören und sich wegschleichen können.
Ich richtete mich wieder auf. Ohne auf die beiden Sklaven zu achten, trat ich durch den nächsten Eingang in der Kolonnade. Ich kam durch unmöblierte Empfangszimmer und Vorräume. Das hier war der am wenigsten benutzte Teil des Hauses. Abgelegen. Unbeobachtet. Mit der stets so anziehenden Atmosphäre von Räumen, die niemand ohne Erlaubnis betreten darf. Aber von Gaia war nichts zu sehen.
Ich ging weiter.
Auf dem Plan waren an drei Seiten des Hauses
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