Eine Jungfrau Zu Viel
ihr herausgeprügelt worden. Als Zeugin war sie nicht zu gebrauchen – und auch nicht als Kindermädchen, meiner Meinung nach.
Aber woher sollte ich das wissen? Meine Kleine hatte nie ein Kindermädchen gehabt. Und so, wie die Dinge lagen, würde ich nie die Beklemmung erleben, so jemanden für Julia auswählen, einweisen und zweifellos schließlich entlassen zu müssen. Irgendeine schlecht ausgebildete, unreife, uninteressierte Ausländerin, für die unsere Kleine nichts als ein verwöhntes, ungehobeltes römisches Gör mit verwöhnten, ungehobelten römischen Eltern war, denen die Parzen Sklaverei und Leid aus unerfindlichen Gründen erspart hatten – im Gegensatz zu dem mutmaßlichen Kindermädchen, das sich, wären die Parzen nicht gewesen, für genauso gut hielt wie wir. Und es, ohne die Einmischung der Parzen, vielleicht auch gewesen wäre.
»Also gut.« Ich setzte mich aufs Bett und knöpfte mir dieses Kindermädchenexemplar vor. »Dein Name?«
»Athene.«
Ich seufzte. Wer kommt auf so was? Man konnte sich kaum einen unangebrachteren Namen vorstellen.
»Du passt auf Gaia auf. Gefällt dir das?« Ein grimmiger Blick. »Mag Gaia dich?«
»Nein.«
»Darf das Kind dich schlagen, wie die Erwachsenen das tun?«
»Nein.« Na, sieh an.
»Aber sie hat dich neulich in der Speisekammer eingesperrt, höre ich?« Schweigen. »Kommt mir so vor, als würde man sie hier wie eine kleine Königin behandeln. Ich nehme an, das trägt nicht gerade zu gutem Benehmen bei?« Keine Antwort. »Na gut. Hör zu, Athene. Du steckst in ernsten Schwierigkeiten. Wenn Gaia Laelia etwas zugestoßen ist, wirst du als ihr Kindermädchen die Erste sein, die unter Verdacht gerät. Nach römischem Gesetz werden sämtliche Sklaven eines Haushaltes getötet, wenn ein frei Geborener unter verdächtigen Umständen stirbt. Du musst mich davon überzeugen, dass du ihr nichts antun wolltest. Du solltest besser zeigen, dass du an der Rettung des kleinen Mädchens interessiert bist, wo auch immer es sein mag.«
»Sie ist doch nicht tot, oder?« Athene schien echt entsetzt zu sein. »Sie ist nur wieder weggelaufen.«
»Wieder? Meinst du den Tag, an dem sie dich eingesperrt hat?«
Diesmal nickte sie. »Gaia war an jenem Tag bei mir, und ich habe sie hinterher heimgeschickt. Hat sie dir gegenüber je angedeutet, dass sie auf Dauer von zu Hause ausreißen wollte?«
»Nein.«
»Vertraut sie sich dir an?«
»Sie ist sehr still.« Die Gaia, die ich kennen gelernt hatte, konnte sich sehr selbstbewusst äußern. Jemand musste sich regelmäßig mit ihr unterhalten.
Ich sah das Mädchen an und fragte dann unvermittelt: »Glaubst du, das jemand aus der Familie Gaia umbringen will?«
Ihre Kinnlade sackte herunter. Kein erfreulicher Anblick. Diese Vorstellung war Athene neu.
Sie bewahrten ihre Geheimnisse hier sehr gut. Das überraschte mich nicht, schließlich gaben sie sich mit Ritualen und Mysterien ab. Meiner Ansicht nach hatte Religion nichts damit zu tun. Die bizarren Rituale der uralten Kulte, bei denen nur Auserwählte mit den Göttern kommunizieren dürfen, drehen sich um die Macht im Staat. Dasselbe System lässt sich leicht auf die Familie übertragen. Jeder Paterfamilias ist sein eigener Priester. Zum Glück verlangt man nicht von uns allen, Mützen mit Olivenzweigen und Ohrenklappen zu tragen. Eher würde ich auf ein kappadokisches Bohnenfeld auswandern.
Athene hatte wirklich keine Ahnung, dass Gaia Angst hatte, umgebracht zu werden. Das Kind hatte sich mir, einem vollkommen Fremden, anvertraut, wusste aber, dass es nicht riskieren durfte, mit seinem eigenen Kindermädchen darüber zu sprechen. Der Grund dafür war mir klar. Das Kindermädchen hatte sich vor der Familie zu verantworten.
Dass Sklaven über all die dunklen Geheimnisse eines Haushaltes Bescheid wissen, ist ein Mythos. Sie wissen mehr, als sie sollen, ja – aber nie alles. Ein erfolgreicher Sklavenbesitzer wird Vertrauliches nur selektiv preisgeben. Lass sie von den Skandalen wissen, die einfach nur peinlich sind, wie Ehebruch und Bankrott und die Sache mit der Großmutter, die sich im besten Essraum in die Hose gemacht hat, aber bewahre absolutes Schweigen über den bevorstehenden Hochverratsprozess, deine drei unehelichen Kinder und dein tatsächliches Vermögen.
»Na gut, Athene, erzähl mir von gestern.«
Mit viel Geduld entlockte ich ihr dieselbe Geschichte, die Caecilia mir über Gaias gestrigen Vormittag erzählt hatte: Frühstück mit der Familie, Weben, dann
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