Eine Jungfrau Zu Viel
Spielen im häuslichen Garten.
»Und wann hast du bemerkt, dass du sie verloren hast?« Athene warf mir einen verschlagenen Blick zu. »Ich will nicht wissen, wann du es der Familie gemeldet hast.« Diesen Blick hatte ich schon hundertmal gesehen. Lügner verraten sich oft, fast als bettelten sie darum oder forderten einen auf, die wahre Geschichte herauszufinden. »Lüg mich nicht an. Wann ist es dir zum ersten Mal aufgefallen?«
»Um die Mittagszeit.«
»Du meinst, vor dem Essen?«
»Ja«, gab das Mädchen mürrisch zu.
»Warum hast du Gaias Mutter erzählt, das Kind wolle sein Mittagessen alleine einnehmen?«
»Das macht sie oft!«
»Ja, aber diesmal konntest du sie nicht finden. Du hättest die Wahrheit sagen sollen. Warum hast du gelogen? Hattest du Angst?«
Athene schwieg. Ich konnte es verstehen, aber ihr Verhalten war unlogisch und gefährlich gewesen.
»Warum isst Gaia denn lieber allein?«
»Um von denen wegzukommen«, knurrte das Kindermädchen. Das war das erste Zeichen von Aufrichtigkeit. »Ich dachte, sie hätte sich irgendwo versteckt. Ich dachte, sie würde wieder auftauchen.«
»Könnte sie sich versteckt haben, um dich in Schwierigkeiten zu bringen?«
»Das hat sie nie getan«, gab Athene widerstrebend zu.
»Ich weiß, dass sie unglücklich war. War jemand grausam zu Gaia? Sag mir die Wahrheit. Ich werde dich nicht verraten.«
»Grausam nicht.« Vielleicht auch nicht freundlich.
»Hat man sie für Ungehorsam bestraft?«
»Nur, wenn sie es zu weit getrieben hatte.«
»Wie an dem Tag, als sie dich eingesperrt und die Sänfte geklaut hat?«
»Das hätte sie nie tun dürfen. Sie muss gewusst haben, dass sie damit einen Wirbelsturm auslöst.«
»Was ist passiert, als sie nach Hause kam?«
»Der alte Mann wartete schon auf sie und hat sie furchtbar ausgeschimpft.«
»Sonst noch was?«
»Sie musste in ihrem Zimmer bleiben und bekam kein Abendessen. Danach durfte ich mich tagsüber nicht von ihrer Seite rühren und sollte nachts in ihrem Zimmer schlafen. Als ich es versuchte, schrie sie mich so sehr an, dass ich mir ein Bett vor ihrer Tür gemacht habe.«
»Sie wurde nicht geschlagen?«
Athene sah mich erstaunt an. »Niemand hat dem Kind je auch nur einen Klaps gegeben.«
»Du auch nicht?«
»Nein. Dafür wäre ich ausgeprügelt worden.«
»Fandest du es schwierig, mit ihr fertig zu werden?«
Erneut gab das Mädchen widerstrebend zu, dass die Dinge nicht so schlimm waren, wie ich vielleicht angenommen hatte. »Normalerweise nicht.« Sie lächelte grimmig. »Hier im Haus machen alle, was ihnen gesagt wird. Wenn sie sich bei mir zu sehr aufgespielt hätte, dann hätte ihr der Alte schon klar gemacht, dass man sich in ihren Kreisen nicht so benahm. ›Von uns wird Besseres erwartet, Gaia!‹, hätte er gesagt.«
»Also regiert Numentinus mit der bloßen Kraft seiner Persönlichkeit?« Sie verstand mich nicht. »Wenn du den Befehl hattest, ständig bei Gaia zu bleiben, warum hat sie dann gestern Morgen allein im Garten gespielt?«
»Ich hatte was anderes zu tun. Ihre Mutter kam und sagte: ›Oh, du kannst sie für eine Weile alleine lassen.‹ Dann musste ich einer der anderen Dienerinnen bei ihrer Arbeit helfen.«
»Welcher Arbeit?«
Athenes Blick verschleierte sich. »Kann mich nicht mehr erinnern.«
»Hm. Und als du zurückgingst, um nach Gaia zu schauen, war sie nicht mehr da? Aber du hast erst mal geschwiegen.«
»Nicht lange. Ich dachte, Gaia würde hungrig werden. Ich ging zur Küche und lauerte ihr dort auf, falls sie sich was zu essen holte.«
»Könnte sie in der Küche gewesen sein, bevor du kamst?«
»Nein. Ich habe gefragt. Sie hatten sie schon vorher rausgeworfen, weil sie ständig Wasser für den Krug haben wollte, mit dem sie spielte. Schließlich haben sie mich auch weggescheucht, und dann blieb mir nichts anderes übrig, als es der Mutter zu erzählen.«
»Hat man daraufhin eine Suchaktion durchgeführt?«
»Aber ja. Sie haben die ganze Zeit weitergesucht – bis Sie gekommen sind. Der Kaiser war bei dem Alten, und danach bekamen wir alle den Befehl, nicht mehr rumzurennen. Uns wurde gesagt, dass Sie kommen, und alles sollte ruhig aussehen.«
»Das verstehe ich nicht. Sie brauchten sich doch nicht für ihre Panik über ein vermisstes Kind in dem Alter zu schämen. Wenn es sich um meine Tochter gehandelt hätte und Vespasian vorbeigekommen wäre, hätte ich ihn gebeten, sich an der Suche zu beteiligen.«
»Sie haben vielleicht Nerven.«
Ich grinste kurz.
Weitere Kostenlose Bücher