Eine Jungfrau Zu Viel
Zeltwand ordentlich runtergezogen und drinnen die Kissen über die Blutspuren gehäuft.«
»Warum die ganze Mühe?«
»Um die Entdeckung zu verzögern. Du hast Leute gehört, sagtest du?«
»Es klang nach Bediensteten, die drinnen aufräumten.«
»Vielleicht hat der Mörder sie ebenfalls kommen hören und hatte nur Zeit, ein wenig aufzuräumen, damit alles normal aussah.« Ich fragte mich, ob der Mörder an den Bediensteten vorbei hinausgegangen oder noch mal unter der Zeltwand hindurchgeschlüpft war. Auf jeden Fall war er einer Begegnung mit Aelianus nur knapp entgangen. »Die Leiche war hinter dem Zelt zunächst mal sicher.«
»Stimmt, Falco. Man hätte sie vielleicht erst beim Abbau des Pavillons gefunden. Das geschieht frühestens morgen oder sogar erst übermorgen, wenn das Fest formell beendet ist.«
Nachdenklich blickte Aelianus auf den Platz neben dem Thron, wo der Angriff vermutlich begonnen hatte. Er schreckte zusammen, als er etwas unter den Kissen blinken sah. Rasch warf er die mit Troddeln besetzten Dinger zur Seite und hob eine Art dekorativen Halter auf. Ein flaches Behältnis, am einen Ende offen, am anderen, gebogenen Ende geschlossen. Als Scheide war es zu kurz für ein Schwert und zu lang für einen Dolch. Es hatte eine charakteristische, kurze, breitschneidige Form. Wir wussten beide, was es war – der einem Priester gehörende kunstvolle Behälter für ein Opfermesser.
»Tja, da hat jemand ein Sakrileg begangen«, meinte Aelianus trocken. »Jedwede Art von Klingen sind im heiligen Hain verboten.«
X
Morgengrauen über der Arx.
Hier, auf dem niedrigsten der sieben Hügel, stand der Tempel der Juno Moneta. Juno, die Mahnende. Juno von der Münzanstalt. Die Juno der Geldsäcke.
Vor dem Tempel stand M. Didius Falco. Falco, der Exermittler. Falco, der Prokurator. Falco, der pflichtbewusst sein neues Amt ausübte – und nach einer Austrittsklausel suchte.
Zu Junos Tempel auf der Arx gehörten die verhätschelten Gänse, deren Vorfahren mit ihrem lauten Geschnatter einst Rom vor den marodierenden Galliern gerettet hatten, als die Wachhunde nicht anschlugen. (Was wenig für die damaligen Militärkommandeure spricht, die vergessen hatten, Wachposten aufzustellen.) Jetzt wurden einmal im Jahr glücklose Hunde aufgegriffen und rituell gekreuzigt, während die Gänse aus einer Sänfte mit purpurfarbenen Kissen zuschauten. Ich hatte darauf zu achten, dass die Gänse ordentlich versorgt wurden. Die Hunde waren nicht meine Aufgabe. Und niemand hatte je die Aufgabe übernommen, militärische Inkompetenz zu bestrafen.
Kreischende Vögel weckten meine Aufmerksamkeit. Zwei Mauersegler schossen über mich hinweg, verfolgt von einem Raubvogel, breite Flügel, charakteristischer Schwanz, kurzes Flügelschlagen zwischen dem typischen Kreisen und Rütteln – ein Sperber.
Hier war der Ort für die Auguralopfer. Das älteste Herz von Rom. Zwischen zwei Hügelkuppen lag der Sattel, den Romulus zu einem Zufluchtsort für Flüchtlinge bestimmt hatte und damit von vornherein festlegte, dass Rom, egal, was unbeugsame alte Männer in Togen davon hielten, gesellschaftlich Ausgestoßenen und Kriminellen Beistand zu leisten habe. Auf der zweiten Hügelkuppe, der Zitadelle, erhob sich der riesige neue Tempel des Jupiter Optimus Maximus, der größte je gebaute Tempel, und sobald er in seiner vollen dekorativen Pracht mit Statuen und Vergoldungen fertig war, der großartigste im ganzen Imperium. Von der Arx aus hatte man gute Sicht auf den Tempel, und wenn man ostwärts blickte, sah man den Mons Albanus, falls die Auguren mal Inspirationen von den Göttern brauchten. Besonders im Morgengrauen konnte hier ein Mann mit einer religiösen Seele den Eindruck gewinnen, den obersten Gottheiten nahe zu sein.
Ich besaß keine religiöse Seele. Ich war gekommen, um nach den heiligen Hühnern zu schauen.
Neben dem Tempel der Juno Moneta lag das Auguraculum. Das war eine geweihte Plattform, ein praktischer, permanenter Platz für Auspikationen. Ich hatte mich immer gegen das mystische Wissen über Weissagungen gesperrt, wusste aber ganz allgemein, dass ein Augur mit einem besonderen Krummstab den Bereich des Himmels bezeichnete, den er beobachten wollte, dann den Bereich des Bodens, von wo aus er die Beobachtung durchführte und wo er sein Beobachtungszelt aufstellte. Er musste von Mitternacht bis zum Morgengrauen im Zelt sitzen und durch den offenen Zelteingang nach Süden oder Osten schauen, bis er Blitze oder
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