Eine Jungfrau Zu Viel
habe ihr das Alphabet beigebracht. Sie kann lesen und schreiben. Alles, was Kinder in diesem Haus wissen müssen, lernen sie daheim.«
Die Priesterkaste mochte zwar einsame Spitze in absonderlichen Ritualen sein, war aber nicht berühmt für ihre Gelehrsamkeit.
»Erzählen Sie mir bitte von Gaias Tag.«
»Am Anfang saß sie ruhig bei den Dienerinnen und half ihnen beim Weben.« Ich hätte wissen müssen, dass man hier nicht nur an Selbstunterricht glaubte, sondern auch verrückt auf selbst Gewebtes war. Tja, ein Flamen Dialis muss darauf bestehen, dass sich seine Flaminica bei der Herstellung seiner zeremoniellen Roben die Finger wund arbeitet. Was Helena wohl gesagt hätte, wenn ich mit meinem neuen Ehrenposten heimgekommen wäre und ihr verkündet hätte, ein Geflügelprokurator müsse in der von seinem Weib genähten Amtstracht herumstolzieren?, dachte ich amüsiert. »Nach einer Weile«, fuhr Caecilia nun mit mehr Selbstvertrauen fort, »wurde ihr erlaubt, in einem geschützten Innenhof zu spielen.«
»Wann haben Sie gehört, dass sie vermisst wird?«
»Nach dem Mittagessen. Das ist hier eine informelle Mahlzeit, aber ich hatte natürlich erwartet, sie dort zu sehen. Als Gaia nicht kam, gab ich mich mit der Erklärung des Kindermädchens zufrieden, Gaia wolle draußen allein essen. Das macht sie manchmal, sitzt in der Sonne auf einer Bank oder bereitet ein kleines Picknick vor, ganz in ihr Spiel vertieft …« Plötzlich sah sie mich scharf an. »Sie halten uns wahrscheinlich für eine seltsame, strenge Familie, aber Gaia darf durchaus Kind sein, Falco! Sie spielt. Sie besitzt viel Spielzeug.« Doch kaum Spielkameraden, nahm ich an.
»Ich werde ihr Zimmer nachher durchsuchen.«
»Sie werden sehen, dass sie ein hübsches kleines Kinderzimmer hat und sehr verwöhnt wird.«
»Sie hatte also keinen ersichtlichen Grund, von zu Hause wegzulaufen?«, fragte ich ohne Vorwarnung. Caecilia presste die Lippen aufeinander. »Keine abscheuliche neue Familienkrise?« Ich bemerkte eine gewisse Unruhe unter den Dienerinnen. Sie hielten die Augen gesenkt, waren vermutlich gut gedrillt worden, während man mich auf diese Befragung warten ließ.
»Gaia war immer ein glückliches Kind. Ein süßer Säugling und ein glückliches Kind.« Die Mutter klammerte sich an diese im Singsang vorgebrachte Behauptung wie an einen Talisman. Wenigstens zeigte sie jetzt jedoch, dass sie wirklich litt. »Was ist mit ihr passiert? Werde ich sie je wiedersehen?«
»Ich versuche die Antwort darauf zu finden. Bitte vertrauen Sie mir.«
Sie war immer noch erregt. Ich hatte keine Hoffnung, mit ihr weiterzukommen, solange sie von ihren Leibwächterinnen umgeben war. Die Dienerinnen hielten mich ebenso von der Wahrheit fern, wie sie die Dame vor mir beschützten. Ich gab vor, mit der Befragung fertig zu sein, und bat Caecilia, mir jetzt das Kinderzimmer zu zeigen. Ich sagte, es wäre mir lieb, wenn sie das selber täte, für den Fall, dass sie unter meiner Anleitung irgendwas Außergewöhnliches entdecke, das mir als Hinweis dienen könne. Sie war einverstanden, ohne die Dienerinnen mitzukommen. Der Sklave, der mich überwachen sollte, schlurfte hinter uns her, aber er war ein Trottel und gab sowieso kaum Acht. Er trug bereits den Grundriss für mich, und ich lud ihm auch noch meine Toga auf.
Caecilia führte mich durch mehrere Korridore. Mir wurde sofort kühler ohne die lästige Toga, und ich hakte meine Daumen in den Gürtel. Ich ließ auch ihr Zeit, sich zu entspannen, kam dann aber auf die Frage zurück, der sie ausgewichen war, und sagte freundlich: »Es ist tatsächlich was passiert, nicht wahr?«
Sie atmete tief durch. »Es hat in letzter Zeit aus verschiedenen Gründen viel böses Blut gegeben, und Gaia war schon immer empfindsam. Wie jedes Kind dachte sie, sie sei an all den Problemen schuld.«
»War sie das?«
Sie zuckte zusammen. »Wie könnte sie?«
Ich blieb hart. »Keine Ahnung, da ich nicht weiß, um welche Probleme es sich handelt!« Sie war entschlossen, mir nichts zu sagen. Befehl vom Flamen, zweifellos. Wir gingen eine Weile schweigend weiter, dann hakte ich nach: »Hatten die Schwierigkeiten mit der Tante Ihres Mannes zu tun?«
Caecilia warf mir einen raschen Blick zu. »Sie wissen davon?«
Sie wirkte erstaunt. Zu erstaunt. Gleichzeitig erkannten wir beide, dass wir aneinander vorbeiredeten. Ich merkte mir das Thema.
Ich sagte: »Terentia Paulla ist wohl jemand, den man nicht unterschätzen sollte.« Sie lachte
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