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Eine Katze hinter den Kulissen

Titel: Eine Katze hinter den Kulissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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was wir herausgefunden hatten, irgend etwas wert
war.
    Wenn Buffalo Bill nicht geistesgestört war, dann
hatten wir endlich einen konkreten Hinweis erhalten. Dobrynin hatte
wirklich mit den Obdachlosen gelebt. Er war einer von ihnen gewesen,
und sie hatten ihn Lenny genannt. Was seine Kumpel nicht wußten,
war, daß Lenny der beste Ballettänzer des Jahrzehnts gewesen
war. Das alles war ziemlich abstrus. Ich war völlig in Gedanken
versunken, tief in dieses ganze Dobrynin-Rätsel. Tonys Lachen
holte mich in die Wirklichkeit zurück.
    »Aber es hat doch wirklich Spaß gemacht, nicht wahr, Alice?« sagte er.
    »Was hat Spaß gemacht?«
    »Früher, als wir endlos herumgehangen
haben und stundenlang durch die Stadt gelaufen sind. Erinnerst du dich:
erst in eine Bar, dann ein Stehcafé, dann ins Kino, und dann
noch irgendwohin? Sogar in ein Kaufhaus zu gehen war irgendwie ein
Abenteuer. Wir sind Rolltreppe gefahren, nur um die Leute zu
beobachten. Wie zum Teufel haben wir es damals nur geschafft, so viel
rumzulaufen? Und jetzt sind wir hier, über zwanzig Jahre
später, und treten uns schon wieder die Füße platt.
Warum haben wir das eigentlich gemacht, Alice?«
    »Keine Ahnung«, sagte ich kurz
angebunden. Mir war nicht ganz klar, warum, aber ich wollte seinen
Nostalgieanfall im Keim ersticken.
    Dabei wußte ich genau, warum. Ich erinnerte mich.
    Basillio und ich waren zum Theater gekommen, als die Schauspielschulen noch unter dem Einfluß von Stanislawskis Method Acting standen.
Die Hauptthese dieser Methode ist ganz einfach: Man muß jede
Rolle aus den Traumata und Freuden des eigenen Lebens entwickeln. Wenn
die Rolle, die man spielt, verlangt, daß man weinen muß,
weint man wirklich, indem man sich zum Beispiel an ein Haustier
erinnert, das man verloren hat, als man noch ein kleines Kind war. Auf
diese Weise kann man der Rolle Glaubwürdigkeit verleihen.
Natürlich ist dann jeder Schauspieler nur so gut wie sein
Erfahrungsschatz. Je mehr traumatische Erfahrungen man gemacht hat,
desto besser. Je mehr freudige Ereignisse man erlebt hat, desto besser.
Je mehr man gelitten und erfahren hat, desto besser wird man als
Schauspieler sein und desto mehr verschiedene Rollen wird man spielen
können.
    Kurz, ein guter Schauspieler muß
»wilder« leben als jemand, der kein Schauspieler ist. Und
ich kann Ihnen versichern, wir waren damals ganz von dieser These
überzeugt. Ich war damals so wild entschlossen, alle Höhen
und Tiefen des Lebens auszukosten - Sex, Liebe, Arbeit, Schmerz,
Mitleid, Bildung -, daß es einem angst machen konnte. Ich wollte
ein großer Star werden.
    Die amerikanische Form des Method Acting gibt
es heute nicht mehr, aber die Mythen, die damit verbunden sind, sind so
lebendig wie eh und je, und zwar auf eine ziemlich erbärmliche
Weise. Hollywoodstars, die Millionen verdienen, betonen in ihren
Autobiographien, wie nah am Abgrund sie gelebt haben, um zu beweisen,
daß sie damals wirklich richtig wild gewesen sind. Dabei ist das
einzig Wilde an ihnen die Tatsache, daß sie ab und an ihr
gemütliches Heim in Brentwood in Begleitung nur eines Bodyguards
verlassen.
    Das war der Zweck der endlosen Spaziergängen
gewesen, die Tony und ich damals unternommen hatten: Menschen, Dinge
und Gefühle zu sammeln wie Blumen zu einem Strauß. Um mehr
zu sehen, mehr zu empfinden, mehr zu lernen, uns mehr zu freuen. Alles,
was uns auf diesen Spaziergängen begegnete, war eine Erinnerung,
die bewahrt werden mußte, um sie auf der Bühne nutzen zu
können.
    Ich schaute zu Tony hinüber und lächelte
ihn an. Ich war überrascht, als ich sah, daß er ein
finsteres Gesicht machte und mit gesenktem Kopf auf den leeren Teller
vor sich starrte.
    »Basillio, was ist los?«
    Es dauerte lange, bis er seinen Blick hob und mich ansah, mit einem beunruhigend unfreundlichen Gesichtsausdruck.
    »Ich möchte dich etwas fragen ... Alice.«
    Es wunderte mich, daß er nicht
»Schwedenmädel« sagte, aber ich schaffte es, zu
antworten: »Frag doch.«
    Er stellte seine Frage nicht sofort, sondern spielte mit den Sachen auf dem Tisch, schob sie hin und her.
    Dann sagte er, ruhig und würdevoll: »Warum liebst du mich nicht?«
    Ich dachte, das sollte ein Witz sein. Ich lachte.
    »Verdammt noch mal, was ist denn daran so
furchtbar lustig?« Er knallte eine Gabel auf den Tisch, so
heftig, daß Wein aus seinem Glas auf den kleinen Teller mit den
Zuckerstückchen spritzte. »Entschuldige«, sagte er und
setzte sich gerade hin.
    »Tony«, begann ich

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