Eine Katze hinter den Kulissen
Schlußfolgerung recht hatte. Schließlich
weiß jeder Schauspieler, daß die Menschen endlos komplex
und widersprüchlich sind. Eine Eigenschaft macht noch nicht den
ganzen Charakter aus. Ein Mensch kann theoretisch ein egomanisches
Schwein sein und trotzdem ein Herz für streunende Tiere haben.
Ich ließ meinen Drink stehen und bestellte eine
Tasse Kaffee. Ich dachte an die Katzen im Park, die plötzlich
aufgetaucht waren, als Fay mit dem Löffel an das Gitter geschlagen
hatte. Aus irgendeinem Grund konnte ich nicht glauben, daß Peter
Dobrynin die Mutter Teresa der Katzenwelt gewesen war, nur weil er sie
mit teuren russischen Spezialitäten gefüttert hatte. Ich
weiß auch nicht, warum ich dieses Gefühl hatte. Vielleicht,
weil streunende Katzen, die im Park leben, immer noch besser dran sind
als herrenlose Katzen in leerstehenden Häusern und auf der
Straße. Es sind die letzteren, deren Existenz so deprimierend und
problematisch ist, so voller Terror und Gefahr durch den Verkehr und
den Hunger - und die herzlosen Menschen. Ich wünschte, er
hätte sich zuerst um diese Katzen gekümmert. Nur einen Block
außerhalb des Parks gibt es unzählige davon. Und die
brauchen ganz bestimmt keine Delikatessen. Alles, was sie brauchen, ist
ganz normales Katzenfutter.
Der Gedanke an die vielen herrenlosen Katzen machte
mich traurig. In all den Jahren habe ich Hunderte von Stunden an
diversen kurzlebigen Freiwilligenprogrammen teilgenommen, bei denen
versucht wurde, streunende Katzen zu retten. Es ist schwierig, die
armen Tiere einzufangen, sogar die, die verletzt oder völlig
ausgemergelt sind. Und wenn man sie endlich gekriegt hat, ist es noch
schwieriger, ein Heim für sie zu finden, außer, wenn sie
noch jung sind. Und wenn man sie nirgends unterbringen kann, was
geschieht dann mit ihnen? Soll man sie ins Tierheim geben? Das bedeutet
nur allzu oft ihren Tod. Ich trank meinen Kaffee aus und schob die
Tasse weg. Wenn ich noch länger hier sitzen blieb, würde ich
mich an einzelne dieser Streuner erinnern, und das wollte ich unbedingt
vermeiden.
Tony und ich gingen auf dem Broadway nach Norden, am
Campus der Columbia University vorbei, an den Seminargebäuden und
den Musikschulen. Wir gingen unter der überirdischen
U-Bahn-Station an der One Hundred and Twenty-fifth Street hindurch und
weiter auf der One Hundred Twenty-sixth Street nach Westen.
Es war eine dreckige Straße; ein besetztes
Fabrikgebäude reihte sich an das nächste. Ich suchte den
Block mit den Augen ab. Dann hörte ich Tony sagen: »Mann,
das darf doch nicht wahr sein!«
Wir sahen das blaue Gebäude. Na ja, es war
einmal blau gewesen. Die Farbe war von den Backsteinwänden
abgeblättert, und jetzt war es ein Gemisch aus Blau und Rostbraun.
Wir betraten das Haus durch eine doppelte
Stahltür und fanden uns in einer kleinen Lobby wieder, die mit
altem Marmor ausgekleidet war. Auf einem alten Schild war zu lesen,
daß es hier nur noch zwei Mieter gab: eine Metallspinnfirma im
zweiten Stock und ein Großhändler für Autoersatzteile.
Es schien sonst niemand in diesem Haus zu wohnen, nur zwei
Industrieunternehmen hatten hier ihren Sitz.
»Was machen Sie hier?«
Tony und ich drehten uns nach rechts um, von wo die
Stimme gekommen war. Ein grauhaariger Mann mit einer von Klebeband
zusammengehaltenen Brille stand in der geöffneten Feuertür.
Er hatte eine Klempnerschlange in der Hand und noch ein anderes
Werkzeug.
»Wer sind Sie?« fragte er und kam auf uns zu.
»Wer sind Sie ?« gab ich in ebenso mißtrauischem Tonfall zurück.
»Ich bin der Hausmeister«, sagte er und griff seine Werkzeuge fester.
Dann sagte Tony sehr freundlich: »Wir sind Freunde von Lenny.«
Als er das hörte, wurde der Hausmeister ruhiger und versuchte sogar zu lächeln. Ganz offensichtlich mochte er Lenny.
»Wo ist er denn?« fragte er. »Ich
habe ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.« Sein Gesicht
nahm einen besorgten Ausdruck an. »Es ist ihm doch hoffentlich
nichts passiert?«
Tony begann mit einer Geschichte, die so ähnlich
war wie die, die er Fay erzählt hatte, um sie zu schonen.
»Nun ja ... doch«, antwortete er ernst, aber nicht allzu
besorgniserregend. »Es war ein Unfall. Er ist im Beekman
Hospital. Aber es geht ihm schon viel besser.«
»Oh, das tut mir aber leid«, sagte der
Mann. »Lenny ist der beste Mieter, den ich je hatte - außer
wenn er manchmal diese abgerissenen Typen mitbringt.«
»Ach ja«, fuhr Tony fort, »Lennys
liebe Freunde. Er kümmert
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