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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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Ich starrte Karl an. Der riesige Mann nickte energisch.
    »Tony«, sagte ich freundlich, »seine Schwester ist vor neun Jahren gestorben.«
    »Er hat ihre Wohnung behalten.«
    »Was meinst du mit ›behalten‹?«
    »Er hat in den vergangenen neun Jahren die Miete für die Wohnung bezahlt. Für ihn ist diese Wohnung eine Art Heiligtum. Das Apartment ist noch genauso, wie es in der Nacht war, als seine Schwester umgebracht wurde. Nichts ist weggenommen worden. Nichts ist verändert worden.«
    »Stimmt das, Mr. Bonaventura?« fragte ich.
    Er griff in seine Tasche und zog ein Farbfoto seiner Schwester heraus. Er hielt es mir hin, damit ich es betrachten konnte. »Sie lebt immer noch dort in ihrer Wohnung. Hundred-eleventh Street und Broadway. Sie lebt immer noch dort, und ich besuche sie oft.«
    Ich konnte das Foto nicht anschauen. Ich drehte mich um. Dieser merkwürdige Mann hatte eine unschätzbare Zeitkapsel für uns. Das war ein Geschenk, mit dem wir niemals hatten rechnen können - die Gelegenheit, zurückzugehen, weit zurückzugehen, zu einem der ersten Morde. Eine Gelegenheit, einen Tatort in seinem ursprünglichen Zustand zu sehen.
    »Ich rufe dich an, Tony. Wir machen einen Termin mit Mr. Bonaventura, wenn es ihm nichts ausmacht, uns dorthin zu begleiten.«
    »Ihm ist sehr daran gelegen, uns dorthin zu begleiten«, sagte Tony.
    Tony half dem großen Mann beim Aufstehen, und sie gingen zur Tür. Ich öffnete sie.
    »Können Sie eine Minute draußen auf dem Flur warten?« fragte Tony Bonaventura. Er schloß die Tür, kaum daß der Mann richtig draußen war.
    »Wir müssen über das reden, was neulich passiert ist, Alice«, flüsterte er mir zu.
    Bevor ich antworten konnte, küßte er mich schnell auf die Lippen. Er schmeckte nach Whisky.
    »Ich glaube, wir haben einen Fehler gemacht, Tony«, antwortete ich.
    Er versuchte, mich nochmal zu küssen, aber ich drehte mein Gesicht weg. Er flüsterte mir ins Ohr:
    »Wenn dies als Wahn, als Lüge sich ergibt, so schrieb ich nie, so hat kein Mensch geliebt.«
    »Ich dachte, du könntest Shakespeare nicht ausstehen, Tony.«
    »Das war in einem anderen Leben. Ich bin wie neugeboren. Alles ist wie neu.«
    Er ging durch die Tür. Ich schloß sie hinter ihm. Als ich mich umdrehte, sah ich Bushy im Flur sitzen. Er blickte mich seltsam an. Mir fiel ein, daß ich Tony nicht einmal von den Blattsträußchen erzählt hatte, die ich zwischen Tellern gepreßt in Jack Tyres Apartment gefunden hatte. Meine Nachlässigkeit irritierte mich.
    »Warum guckst du denn so komisch?« fauchte ich Bushy an. Ich glaube, er grinste.

10
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag Pancho am Fußende meines Bettes. Seine Augen waren geöffnet, und er schien Bushy anzusehen, der wie üblich auf dem Kopfkissen neben meinem ausgestreckt lag.
    Das war sehr ungewöhnlich. Pancho schlief nie in meinem Bett ... er schlief überhaupt nie. War er krank? War er seinen imaginären Verfolgern endlich entkommen? Wollte er Bushy angreifen? Oder mich?
    Ich lag im Bett und betrachtete meinen geliebten, verrückten Kater. Der andere benahm sich völlig normal. Bushy schnurrte immer noch ins Kissen. Als ich Pancho so ansah, wurde mir klar, daß er als Katze dasselbe für mich war, was Tony Basillio als Mensch war. Pancho war Tony. Tony war Pancho. Darum war es passiert. So wir mir manchmal das Herz überlief, wenn ich den armen Pancho in seiner Zwangslage sah, so war mein Herz für Tony Basillio in dem Hotelzimmer übergelaufen. Ja, es war schon Liebe, aber nicht die übliche Art. Mir wurde klar, daß ich mit ihm geschlafen hatte, um ihn zu beschützen. Aber wovor? Wer weiß? Tony lief vor genauso vielen Dingen davon wie Pancho.
    Ich bewegte meine Zehen ein wenig, und Pancho suchte das Weite. Er hinterließ nur eine kleine Delle von seinem Körpergewicht auf der Decke.
    Eine Stunde später hatte ich die seltsamen Gemeinsamkeiten von Pancho und Tony vollkommen vergessen, und ich betrat meinen neuen Arbeitsplatz bei Retro. Er war mitleiderregend. Eine winzige Plexiglaskabine neben einem Lagerraum.
    Das war ganz eindeutig eine Art von Bestrafung. Vermutlich hatte Judy Mizener mich hierhin verfrachtet, um den anderen Mitarbeitern zu zeigen, daß ich nicht mehr ernst genommen werden mußte, obwohl ich immer noch zum Team gehörte.
    Als ich in den Computerraum kam, war Bert Turk höflich und distanziert; keine weiteren Heiratsanträge. Er gab mir den aktualisierten blauen Ordner. Ich ging die Daten über Jill Bonaventuras

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