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Eine Katze kommt selten allein

Eine Katze kommt selten allein

Titel: Eine Katze kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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kannst.«
    »Für dich ist es leicht, so etwas zu sagen, Alice.«
    Sie wollte sich erheben, doch die Anstrengung war zu groß für sie.
    »Bitte, sei mir nicht böse, Jo. Bitte.«
    Sie sank zurück aufs Sofa; dann verschränkte sie die Hände krampfhaft im Schoß. »Ich bin dir nicht böse, Alice. Ich bin… es ist nur so, daß… der arme Harry…« Und sie begann, unzusammenhängende Worte zu murmeln.
    Ich legte ihr eine Decke um und setzte mich ganz nahe zu ihr. Ich wußte, daß sie meine Entscheidung akzeptierte, und war erleichtert. Ich wußte, daß die alte Frau nicht imstande war, die Nachforschungen auf eigene Faust weiter zu betreiben. Wir waren beide in Sicherheit, wenn wir uns von Harrys Leichnam fernhielten… genauer gesagt, von seiner Asche, die auf dem Kies des Zufahrtsweges verstreut war. Doch ich verspürte nicht nur Erleichterung; ich schämte mich auch ein bißchen. Schließlich hatte ich das Handtuch geworfen. Aber diese Rolle war zu schwierig für mich. Die Konsequenzen waren letztendlich zu gefährlich. Ich war zu alt für eine so riskante Sache.
    Pancho flitzte an der gegenüberliegenden Wand vorüber in Richtung Fenstersims. Dort gab es Sicherheit. Wir alle waren in Sicherheit.

10
    Es war der erste Tag im Februar, ein trister, frostiger Tag. Ich war gerade von einem mittäglichen Arbeitsessen mit meiner Agentin und ›einflußreichen Leuten‹ zurückgekehrt. Wie immer hatte mich diese Art von Treffen verärgert. Als Schauspielerin war ich nicht bekannt genug, als daß mir vernünftige Rollen angeboten wurden; andererseits wußte man, daß ich zu erfahren und überlegt war, als daß ich die hinterletzten Rollen übernommen hätte. Da ich in dieser elenden Zwickmühle steckte, war ich stets gezwungen, an diesen frustrierenden Arbeitsessen mit ›einflußreichen Leuten‹ teilzunehmen, die ein Theaterstück oder einen Spielfilm oder ein Fernseh-Special produzieren wollten.
    Aber von meiner Warte aus betrachtet, war die ganze Sache sowieso die reinste Heuchelei, denn ich hatte seit langer Zeit nicht mehr auf der Bühne gestanden und bei einem herkömmlichen Theaterstück mitgewirkt. Das konventionelle Theater interessierte mich nicht mehr die Bohne. Ich hielt nach Rollen Ausschau, die der gestalterischen Phantasie größeren Spielraum ließen, Rollen, die sozusagen aus der Rolle fielen, und so etwas fand ich nicht bei ›einflußreichen Leuten‹. Ich hatte noch keines dieser Arbeitsessen verlassen, ohne vor mich hin zu murmeln: »Gott segne das Catsitten.«
    Also saß ich nun wieder mal auf meinem Sofa und vertiefte mich in meine neueste schlechte Angewohnheit – die kleine, halbmondförmige Narbe zu betasten, die von dem Lieferwagen-Attentat auf meiner Stirn zurückgeblieben war.
    Und ich träumte vom Theater.
    Allmählich bildete sich eine neue Variante meiner gewohnten schauspielerischen Phantasien heraus: Ich trat als Gastkünstlerin in einer weltberühmten ausländischen Theatertruppe auf – dem Moskauer Staatstheater. Meine Rolle war ziemlich unbedeutend, doch als das Stück vor meinem geistigen Auge vorüberzog und sich entwickelte, sprach ich meinen Text, spielte meine Rolle und legte dabei eine so unglaubliche Bühnenpräsenz an den Tag, daß die Figur, die ich verkörperte, sämtliche Hauptfiguren des Stückes in den Schatten stellte. Zum Schluß warf man mir sogar Rosen auf die Bühne, große, blutrote Rosen, als wäre ich eine Ballerina.
    Es war wieder mal eine meiner ich-bezogenen, überheblichen Teenager-Phantasien – ein dermaßen verrückter Traum, daß es mir selbst peinlich war. Aber solche Träume hatte ich immer wieder, und stets genoß ich die tiefe Freude, die ich dabei empfand, in vollen Zügen.
    Warum auch nicht?
    Diesmal war es eine magische und mystische, wirre und irre Traumvorstellung; bei jeder meiner Neuinszenierungen veränderten sich Kostüme und Bühnenbild. Mal war es ein viktorianisches Drama. Mal war es ein modernes Kriminalstück. Mal war es eine Brechtsche Interpretation eines homerischen Dramas.
    »Ach, Bushy«, sagte ich zu meinem Kater, »wie dumm und müde ich bin… und wie verrückt mein ganzes Leben geworden ist: Arbeitsessen und Phantastereien und Katzenstreu.« Und Bushy verstand mich. Wenigstens einer.
    Das Telefon klingelte. Ich ging davon aus, daß es meine Agentin war, die mir mitteilen wollte, wie es beim Arbeitsessen gelaufen sei und wie sehr meine enorme Ausstrahlung den ›einflußreichen Leuten‹ gefallen hätte. Ich ließ den Apparat

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