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Eine Katze kommt selten allein

Eine Katze kommt selten allein

Titel: Eine Katze kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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den Platz erreichten, sahen wir, wie ein großes graues Pferd, eine Stute, in langsamem Tempo über sehr niedrige Hindernisse geritten wurde. Die meisten nahm das Tier problemlos, doch es zögerte kurz, als es aus einer engen Kehre heraus zum nächsten Hindernis getrieben wurde. Das Mädchen im Sattel ermutigte das Pferd, lobte es mit leiser Stimme, tätschelte ihm immer wieder den Hals. Dann zügelte die Reiterin die Stute, schwang sich aus dem Sattel und führte Ask Me No Questions vom Platz.
    »Was für eine wunderschöne Lady«, flüsterte Anthony voll ehrfürchtigem Staunen.
    Ich konnte nichts erwidern. Auch ich war verzaubert von der Schönheit, Eleganz und Kraft der Stute. Doch ich spürte noch etwas ganz anderes: Endlich würde ich auf irgendeine Weise Kontakt mit der Asche Harry Starobins aufnehmen.
    Meine Hände zitterten, als ich der Reiterin – ein pummeliges Mädchen um die Zwanzig – mein Märchen von dem Buch erzählte. Sie erbot sich, Anthony und mich in den Stall zu führen, sichtlich stolz darauf, daß jemand ein Buch über Ask Me No Questions schreiben wollte.
    Als wir in den Stall gelangten, warf die Stute spielerisch den Kopf zur Seite und traf Anthony voll an der Brust.
    »Jetzt zahlt sie es mir heim, daß ich sie manchmal nicht auf Sieg gewettet habe«, sagte er.
    Das Mädchen nahm die Stute an der Leine, und wir machten uns auf den Weg zu dem riesigen Stallgebäude, in dem sich die Box des Pferdes befand. Als wir das Eingangstor erreichten, blieb As Me No Questions plötzlich stehen, stemmte die Hufe in den Boden und rührte sich nicht mehr von der Stelle. Das Mädchen gab ihr einen kräftigen Klaps auf den Hintern, doch die Stute wollte nicht gehorchen.
    »Zum Teufel«, sagte das Mädchen, »ich habe ganz vergessen, daß sie keinen Schritt macht, bevor Marjorie nicht herausgekommen ist.«
    »Wer ist Marjorie?« fragte Anthony.
    Das Mädchen lachte. »Das werden Sie gleich sehen. Ah, da kommt sie ja schon.«
    Als wir vor dem Stalltor warteten, lief mir der Schweiß übers Gesicht. Diese Marjorie ist Ginger, dachte ich. Du hast Ginger Mauch gefunden!
    »Das ist Marjorie«, sagte das Mädchen fröhlich, und die Stute stapfte zufrieden weiter.
    Vor dem Stalleingang räkelte sich gähnend eine große, wunderschöne Calico-Katze.

16
    Ich hielt Bushy die Weinflasche hin, als wäre ich der Ober und er der Gast. Doch Bushy hatte kein Interesse. Ich zog rasch den Korken aus der Flasche und schenkte mir ein Glas guten Bordeaux ein – einen St. Emilion. Diesmal sollte der Wein keine Depressionen heilen, sondern dafür sorgen, daß sich meine Verwirrung legte. Ich setzte mich aufs Sofa, die Beine fest zusammengepreßt. Meine Suche hatte bei einer Stallkatze namens Marjorie geendet. Ginger war nicht auf dem Gestüt gewesen. Natürlich nicht. Wie war ich bloß auf diesen Gedanken gekommen? Keine Ginger, nur eine Calico-Katze. Und es war nicht die Calico, die ich auf dem Foto mit Cup of Tea gesehen hatte – bei der es sich, laut Jo, wiederum nicht um Veronica gehandelt hatte, die Stallkatze der Starobins.
    Ich hatte nichts weiter als eine Calico-Katze gefunden. Einen der Spielgefährten, wie Rassepferde sie hatten.
    Ich ging in die Küche, öffnete die Kühlschranktür, nahm ein Stück Käse heraus und zerbröckelte ihn über einem Reiskuchen. Pancho saß auf dem Schrank und starrte auf mich hinunter. Er liebte Käse über alles.
    Ich ging zurück ins Wohnzimmer, verzehrte den Imbiß, trank den Wein und blickte dabei aus dem Fenster auf die Straße hinunter.
    »Arme Ginger«, murmelte ich, stellte das Weinglas auf den Fenstersims und schüttelte den Kopf. Warum hatte ich das gesagt? In letzter Zeit ertappte ich mich des öfteren dabei, irgend etwas laut vor mich hin zu murmeln. Doch für gewöhnlich sagte ich ›armer Harry‹ oder ›arme Jo‹. Warum, in Gottes Namen, hatte ich plötzlich Mitleid mit Ginger Mauch? Ginger war der Feind. Oder nicht?
    Denn plötzlich kam mir der Gedanke, daß Ginger vielleicht doch nur ein verängstigtes Mädchen war.
    Vielleicht war Ginger vor den Mördern geflüchtet, bevor diese sie erwischen konnten.
    Als ich am nächsten Morgen Kaffee kochte, rief ich mir das Bild einer kleinen, pummeligen, rothaarigen jungen Frau in Arbeitskleidung ins Gedächtnis – körperlich kräftig und mit hektischer, nervöser Sprechweise. Wohin konnte Ginger geflüchtet sein?
    Auf eine Rennbahn bestimmt nicht. Dort ging alles zu geordnet vor sich. Jeder kannte jeden. Jockeys, Trainer,

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