Eine Klasse für sich
Terrasse. Serena
hatte ihr Töchterchen mitgebracht, um das einiges Aufhebens gemacht wurde. Ich schlug vor, das Bettchen in meinem Zimmer abzustellen, denn es lag direkt an der Terrasse, wo wir speisen würden; das wurde von allen als gute Idee begrüßt. Es stimmte mich traurig, dass die Kleine ihrem Vater immer noch so verblüffend ähnlich sah. Das schien mir nicht nur großes Pech für sie, sondern ließ am Rand meines Bewusstseins quälende Bilder entstehen.
Lord Claremont distanzierte sich betont von dem Getue der Frauen und begrüßte mich schon von Weitem auf seine nebulös-fröhliche Art. Er war wohl erleichtert, dass er ein vertrautes Gesicht sah und überdies der exklusiven Gesellschaft der Beltons entrinnen konnte, die sichtlich gar nicht sein Fall waren, auch wenn er die Ehe mit Andrew forciert hatte. Er hielt auf mich zu, aber Verlockungen in Gestalt von Joanna und Lucy ließen ihn abschwenken, um bei Sangria oder dessen portugiesischer Variante ein wenig zu flirten. Die Beltons standen allein da und starrten aufs Meer hinaus, sie zu schwierig und er zu müde, um sich mit anderen zu unterhalten. Lady Claremont kam zu mir herüber. »Wie geht’s?«, fragte sie lächelnd. Ich erzählte es ihr. »Dann stürzen Sie sich also ins Künstlerleben. Wie aufregend. «
»Meine Eltern sind genauso wenig begeistert.«
Das brachte sie zum Lachen. »Das stimmt so nicht. Mir gefällt der Gedanke. Nur erscheint mir eine solche Laufbahn fürchterlich unberechenbar. Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, ein paar Jahre in einer Mansarde zu hungern, dann ist es sicher das Richtige. Man muss immer versuchen, seinem Herzen zu folgen.«
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Und es gibt Schlimmeres, als in einer Mansarde zu hungern.« Zufällig ruhte mein Blick gerade auf Serena, die sich an der Balustrade mit Candida unterhielt, denn für mich gab es nun einmal keinen befriedigenderen Anblick. Aber ich merkte sofort, dass Lady Claremont meine Worte als Kritik an Serenas Lebensentscheidungen auffasste, für die sie sich zweifellos und aus gutem Grund mitverantwortlich fühlte. Ihre Züge verhärteten sich ein wenig, in ihr Lächeln schlich sich eine Spur von Anspannung.
»Sie müssen Serena und Andrew unbedingt besuchen. Sie wohnen einfach phänomenal, ein entzückender Gutshof am Rand der Ländereien. Serena ist eifrig dabei, ihn einzurichten, das macht ihr unheimlich Spaß. Und das Dorf ist zu Fuß erreichbar, einfach ideal. Kennen Sie Dorset?«
»Eigentlich nicht. Als Kind bin ich immer nach Lulworth gefahren. «
»Ein bezaubernder Landstrich, wirklich wunderschön und noch nicht so überlaufen. Sie hat ein Riesenglück.«
»Das freut mich«, sagte ich. Mir lag daran, Lady Claremont wissen zu lassen, dass ich keine Unruhe stiften wollte. »Ich habe Serena sehr gern.«
Wieder lachte sie, diesmal unbeschwerter und erleichtert, dass sie die Klippen umschifft hatte. »Ach, mein Lieber«, sagte sie, » das wissen wir alle.«
Hinter mir wurden Türen geöffnet, und ich wandte mich um. Vor einem dunklen Zimmer zeichnete sich Damian ab wie ein Hochrelief. Er stand da wie aus Stein, und mir brauchte niemand zu erklären, wohin er starrte. Auch ein paar der anderen hatten ihn bemerkt. Nicht zuletzt Lord Claremont, dessen Stirn sich sichtlich umwölkte. Falls er überlegt hatte, was die ganze Unternehmung sollte, fand er jetzt seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Er warf seiner Frau einen raschen Blick zu, und ich nahm wahr, wie sie kaum merklich den Kopf schüttelte. Damians stumme Reglosigkeit wurde langsam peinlich, deshalb ging ich zu ihm hinüber. »Ist das nicht verblüffend? «, sagte ich. »Serenas Eltern haben die Villa fast nebenan gemietet. Heute Nachmittag sind wir uns vor der Kathedrale über den Weg gelaufen. Unglaublich, was? Du hättest mitkommen sollen. «
»Offensichtlich«, sagte Damian, ohne mit der Wimper zu zucken.
Ich deutete auf Joanna und erklärte rasch die zweite, nicht ganz so zufällige Fügung. Er lächelte. »O schöne neue Welt, die solche Menschen birgt«, sagte er. Dennoch trat er nicht auf die Gesellschaft zu, rührte sich einfach nicht vom Fleck. Serena hatte alles beobachtet
und vermutlich darauf gewartet, dass er den ersten Schritt tun würde. Aber da er ihre Erwartung enttäuschte, fand sie es an der Zeit, seine Anwesenheit offiziell zur Kenntnis zu nehmen. Ich bewunderte ihre vollendeten Umgangsformen. Manchmal ist es doch nützlich, wenn man sein Leben lang Gefühle verbergen
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