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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Phänomen beschränkt sich im Übrigen nicht auf bestimmte Gesellschaftsschichten. Überall ziehen die Eltern Kuckuckskinder groß, Aliens aus einem anderen Universum.
    Die junge Frau würdigte mich keines Blickes. Alles, was sie interessierte,
war die Antwort auf ihre Frage. »Hast du’s oder hast du’s nicht, Mum?«, fragte sie schneidend.
    Lucy nickte. »Ich hab’s. Aber sie hatten es nur noch in Blau.«
    »Nein! Ich wollte doch das pinke. Ich hab dir doch gesagt, dass ich das pinke will!« Was ich hier notiere, ist sprachlich einigermaßen korrekt, die Sprecherin aber klang wie Eliza Doolittle, bevor Professor Higgins sie in die Mangel nahm.
    Lucy blieb die Ruhe selbst und antwortete in einem unverändert geduldigen Ton: »Pink war ausverkauft, da dachte ich, Blau wäre besser als gar nichts.«
    »Da hast du falsch gedacht!« Das Mädchen stöhnte, rauschte davon und trampelte die Treppe hinauf.
    Lucy sah mich an. »Hast du Kinder?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe nie geheiratet.«
    Sie lachte. »Das eine schließt das andere heutzutage nicht mehr aus.«
    »Ich habe trotzdem keine.«
    »Die machen einen wahnsinnig. Aber hergeben würde man sie natürlich auch nie.«
    Ich hatte das Gefühl, auf Auftritte wie gerade eben könnte ich extrem gut verzichten. »Wie viele hast du denn?«
    »Drei. Margaret ist die Älteste, siebenunddreißig, verheiratet mit einem Landwirt. Richard ist dreißig und versucht ins Musikgeschäft reinzukommen. Und dann Kitty, die du gerade gesehen hast. Unsere Nachzüglerin.«
    Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass der ältesten Tochter mein besonderes Interesse galt. »Und Margaret ist glücklich verheiratet?«
    Lucy nickte. »Ich glaube, schon. Ihr Mann ist ehrlich gesagt nicht besonders aufregend. Nun ja, nobody is perfect, aber er ist sehr … zuverlässig. Das ist Margaret anscheinend sehr wichtig.« Man muss Gott auch für kleine Dinge dankbar sein, dachte ich. »Sie haben vier Kinder, und Margaret managt trotzdem noch ihre eigene Firma. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie das schafft, aber sie hat sechzigmal so viel Energie wie wir anderen.« Damians Geist schwebte über den Tisch hinweg.

    »Die Abstände sind sehr groß. Zwischen deinen Kindern.«
    »Ja. Eigentlich ein Wahnsinn. Kaum denkt man, die Tage der Fläschchenwärmer und Reisebettchen sind vorüber, fangen sie wieder von vorne an. Wenn wir übers Wochenende wegfuhren und das Auto vollpackten, sahen wir aus wie Flüchtlinge beim Versuch, Prag vor dem Einmarsch der Russen zu verlassen. Und das zwanzig Jahre lang.« Sie lachte bei der Erinnerung. »Natürlich wollte ich nie so früh anfangen, aber als Margaret …« Sie brach ab und dämpfte ihr Lachen zu einem leisen, nervösen Kichern.
    »Als Margaret was?«
    Lucy warf mir einen verschämten Seitenblick zu. »Heute regt sich ja niemand mehr darüber auf. Als wir geheiratet haben, war Margaret schon unterwegs.«
    »Ich schockiere dich nur ungern, aber die meisten von uns hatten damals schon spitzgekriegt, dass nach fünf Monaten Schwangerschaft nur selten gesunde Babys zur Welt kommen.«
    Sie nickte. »Selbstverständlich. Aber man redete nicht darüber. Und irgendwann war’s vergessen.« Sie dachte eine Weile nach, dann fasste sie mich scharf ins Auge. »Siehst du noch jemand von früher? Ich meine – woher dieses plötzliche Interesse?«
    Ich zuckte so ungezwungen wie möglich mit den Achseln. »Keine Ahnung. Ich habe die Landkarte studiert und gesehen, dass ich praktisch an deiner Haustür vorbeifahre.«
    »Mit wem hast du denn noch Kontakt?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Inzwischen bewege ich mich in anderen Kreisen. Ich bin Schriftsteller. Ich werde zu Verlagspartys eingeladen, zum jährlichen Quizabend des PEN-Clubs, zur Verleihung des Preises für die geschmackloseste Sexszene des Jahres, den die Literary Review vergibt. Meine Tage des Small Talks mit Komtessen aus Cumberland sind vorüber.«
    »Sind sie das nicht für uns alle?«
    »Hin und wieder gehe ich noch auf die Jagd. Wenn ich eingeladen werde. Das heißt, wenn auf einer Party ein rotgesichtiger Major auf mich zuwankt und fragt: ›Waren wir nicht zusammen auf der Schule?‹ oder ›Waren Sie nicht auf dem Ball meiner Schwester?‹,
erwischt mich das jedes Mal wieder kalt. Beim Gedanken, ich könnte zur selben Generation gehören wie diese öden alten Saufbolde, verschlägt es mir vor Schreck die Sprache.« Lucy sagte nichts dazu, spürte mein Ausweichen. »Gelegentlich begegnet mir ein

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