Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
Vom Netzwerk:
dass er sich bemühte, höflich zu sein. Es war ihm nicht gegeben. »Ich bin freitags zu Hause, aber das heißt nicht, dass ich nicht zu arbeiten bräuchte. Zu schön, wenn dem so wäre! Dagmar bringt dich zur Tür, nicht wahr, Schatz? Es war wirklich nett, mit dir zu plaudern.« Ich dankte ihm lächelnd, als hätte er mich nicht gerade zum Gehen aufgefordert, und wir taten beide, als wäre alles in bester Ordnung. Dann war er fort. Dagmar und ich blickten uns an, und mit ihrem kleinen, zerknitterten Gesicht und den schmalen Schultern sah sie plötzlich aus wie ein hungerndes Kind im zerbombten Berlin. Oder wie Edith Piaf. Gegen Ende zu.
    »Hast du jetzt noch Lust auf einen Spaziergang?«, fragte sie. »Ich nehm’s dir nicht übel, wenn du weg willst.«

    »Aber das war doch eben ein Rausschmiss, oder?«
    Sie zog eine Schnute. »Na und?«
    »Ich möchte nicht, dass du meinetwegen seinen Zorn auf dich ziehst. «
    »Er ist immer zornig. Da macht das auch nichts mehr aus.«
    Die Gärten von Bellingham waren neu bepflanzt und annähernd in den Zustand zur Jahrhundertwende zurückversetzt worden: Da gab es einen großen ummauerten Garten und mehrere durch Hecken abgetrennte »Räume«, mit Statuen zwischen Buchsbordüren oder Rosen in adretten kleinen Rabatten. Alles sehr hübsch, aber der Park war doch etwas anderes. Die riesigen, ehrwürdigen Eichen, die noch aus der Entstehungszeit des Hauses stammten, verliehen dem Anwesen eine nüchterne Schönheit, eine gravitas , die den kunstvollen Gärten oder dem neuen Interieur fehlte. Ich sah mich um. »Du hast richtig Glück.«
    »Hab ich das?«
    »Mit diesem Park hier schon.«
    Sie ließ den Blick über die majestätischen Bäume und die wogenden Hügel ringsum schweifen. »Ja«, sagte sie, »da hatte ich großes Glück.« Wir gingen ein Stück weiter. »Wie geht’s ihm denn?«, fragte sie aus heiterem Himmel. Ich begriff nicht sofort. »Damian. Du hast mir doch erzählt, du hättest ihn neulich gesehen.«
    »Ich fürchte, es geht ihm nicht sehr gut.«
    Sie nickte. »So etwas habe ich auch gehört. Ich hatte gehofft, du könntest Besseres berichten.«
    »Leider nein.« Wieder schwiegen wir und stiegen eine kleine Anhöhe hinauf, von der aus wir einen herrlichen Blick über den Park auf das Haus hatten.
    »Hast du gewusst, dass ich total verrückt nach ihm war?«, fragte sie.
    Langsam gewöhnte ich mich an derlei Überraschungen. »Ich wusste, dass ihr ein bisschen miteinander geflirtet habt. Aber dass es die große Liebe war, wusste ich nicht.«
    »Doch, das war’s. Für mich jedenfalls.«
    »Dann warst du aber sehr verschwiegen.«

    Sie lachte traurig. »Da gab’s nicht viel zu verschweigen.«
    »Er hat übrigens von dir gesprochen«, sagte ich.
    Sie errötete vor meinen Augen und hob die Hand an die Wange. »Ja?«, flüsterte sie. »Wirklich?« Es war sehr rührend.
    Ich sah, dass wir uns endlich dem Punkt näherten, dessentwegen ich gekommen war, wollte aber nicht mit der Tür ins Haus fallen. »Er hat nur erwähnt, dass ihr ein paarmal miteinander ausgegangen seid, was ich nicht gewusst hatte.«
    Die Nachricht, dass sie immer noch in Damians Gedanken lebendig war, löste ihr die Zunge. »Ich hätte ihn geheiratet, weißt du.« Das gab mir einen Ruck. Ich staunte nicht schlecht. In weniger als zwei Minuten hatten wir von null auf hundert beschleunigt. Damian hatte einen One-Night-Stand angedeutet, für Dagmar dagegen war es offenbar Tristan und Isolde gewesen. Wie oft hat man doch bei Paaren den Eindruck, dass die Partner völlig verschiedene Beziehungen leben!
    Dagmar sah mein Gesicht und nickte heftig, als rechnete sie mit Widerspruch. Was für ein Umschwung! Zum ersten Mal erlebte ich, dass sie in einem Wortgefecht die Führung übernahm. »Hätte ich tatsächlich, wenn er mich gefragt hätte. Wirklich!«
    Wie zum Zeichen der Kapitulation hob ich die Arme. »Ich glaub’s dir ja«, beteuerte ich.
    Sie lächelte wieder und entspannte sich, da sie in mir einen Freund erkannte. »Meine Mutter hätte sich natürlich aus dem Fenster gestürzt, aber auf einen Kampf mit ihr war ich vorbereitet. Außerdem war ich alles andere als verrückt. Ich wusste, dass Damian Erfolg haben würde. Das gefiel mir auch so an ihm. Er stand mit einem Bein schon in der Zukunft.« Sie warf mir einen Blick zu. »Nicht in der Welt, die wir für die Zukunft hielten – dieses Love-, Peace- und Flowerpower- Zeug. Sondern in der echten Zukunft, in der Ehrgeiz und Raffgier regieren würden. Ich

Weitere Kostenlose Bücher