Eine kostbare Affäre: Roman (German Edition)
nickte. Sie war davon überzeugt, dass ohnehin kein Laut über ihre Lippen kommen würde, wie sehr sie sich auch bemühte.
»Also schön.« James rief den Chor zur Ordnung, und nachdem die Sänger ihre letzten Neuigkeiten ausgetauscht hatten, räusperte er sich vernehmlich. »Zunächst einmal ein herzliches Willkommen an Flora, die heute Abend bei uns ist, um unserem Chor eine Chance zu geben. Jetzt wollen wir zum Aufwärmen einige Tonleitern singen. Auf A!«
Nach einigen Minuten stellte Flora fest, dass sie sich tatsächlich wohlfühlte. Zuerst hatte sie sich gefragt, warum um alles in der Welt sie sich an einem schönen Sommerabend freiwillig und mit der Fleeceweste einer anderen Frau bekleidet in eine eiskalte Kirche gesetzt hatte, aber während ihre Stimme sich daran erinnerte, was sie zu Schulzeiten so mühelos geleistet hatte, kehrte die Freude am gemeinschaftlichen Singen zurück.
Sie war dankbar für die Fleeceweste und hätte gewiss nicht Nein gesagt, wenn ihr jemand eine dazu passende, fleecegefütterte Jogginghose angeboten hätte. Ihre nackten Beine und die Pfingstrosen-Sandalen saugten die Kälte auf wie Wasser. Aber sie genoss es trotzdem. Sie blickte über Moiras Schulter und versuchte, die Noten zu lesen, und mit Moiras starker, selbstbewusster Stimme im Ohr war sie davon überzeugt, dass von ihr selbst nicht der geringste Laut zu hören war. Das bekümmerte sie jedoch keineswegs; sie wollte leise sein, wollte keine Fehler machen. Sie wünschte sich sehnlichst, in dem Chor bleiben zu dürfen.
Als James endlich mit ihnen fertig war, war Flora überraschend müde. Sie bemerkte etwas in der Art zu Moira, die antwortete: »Das liegt wahrscheinlich daran, dass Sie seit Jahren nicht mehr tief geatmet haben. Sie werden sich daran gewöhnen.«
»Wie hat es Ihnen gefallen?«, fragte James, als Flora zu ihm hinüberging, um sich zu bedanken und Auf Wiedersehen zu sagen.
»Gut. Ich habe es genossen. Nur das Notenlesen bereitet mir ein wenig Sorgen. Ich bin vollkommen eingerostet.«
»Das wird sich sehr schnell legen. Ich freue mich, dass Sie mitmachen wollen. Dann sehen wir uns also nächste Woche?«
»Unbedingt.« Flora hatte das Gefühl, tatsächlich etwas geleistet zu haben. Eigentlich war es nichts, worauf sie besonders stolz sein konnte - sie hatte sich lediglich durch eine Chorprobe gestolpert -, aber ihr kam es so vor, als hätte sie mit Erfolg die erste Zehe in das kalte Wasser des Landlebens gestreckt.
Als Geoffrey sie zu ihrem Cottage zurückfuhr, geriet Floras Optimismus ein wenig ins Wanken. Würde sie ohne die Annehmlichkeiten, die sie gewohnt war, wirklich zurechtkommen? Hier draußen würde die Stille der Nacht nur durch die Geräusche wilder Tiere durchbrochen werden. Selbst die Autobahn war zu weit entfernt, um sie zu hören, wenn man nicht wirklich lauschte. Es würde keinen beruhigenden Strom von Taxis geben, der Menschen von irgendwelchen Partys nach Hause brachte, ebenso wenig wie das Wissen, dass sich nur einige Straßen entfernt ein Geschäft befand, das rund um die Uhr geöffnet hatte und ihr mit Freuden alles verkaufen würde, was ihr Herz begehrte. Es gab kein Kino in der Nähe, und selbst der Bahnhof war eine halbstündige Autofahrt entfernt. (Charles hatte sie mit trockener Wonne über den Mangel derartiger Einrichtungen in Kenntnis gesetzt.)
Dann musste sie plötzlich an Annabelle denken, Annabelle mit ihren noch nicht enthüllten Plänen zur Kosteneindämmung, Annabelle, die Geoffrey entlassen und das Familiengeschäft, ihr Familiengeschäft, übernehmen wollte. Unwillkürlich richtete Flora sich ein wenig höher auf. Sie konnte es schaffen, sie würde es schaffen - und zwar mit Bravur. Und wenn sie nach London zurückkehrte - was ihr jetzt ungeheuer erstrebenswert erschien, wie Weihnachten für kleine Kinder -, würde sie eine stärkere und besser qualifizierte Frau sein.
Die Gegend war wunderschön, das musste sie zugeben, während sie die Bäume, die Hecken und die dahinter liegenden Hügel betrachtete. Vielleicht würde die Natur ihr den Halt geben, den ihr früher Taxis und Schuhgeschäfte gegeben hatten.
Geoffrey erbot sich, sie in das Cottage zu begleiten, um sich davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war. Sie nahm sein Angebot dankbar an.
Gemeinsam gingen sie den Weg hinauf. »Hm, das Licht funktioniert jedenfalls noch«, meinte Flora. »Das kann ich von hier aus sehen.«
»Es wird auch alles andere noch funktionieren. Es ist ein gutes kleines Haus.
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